Für manche Menschen sind sie eine nervige Lärmquelle, andere finden sie faszinierend: Saatkrähen polarisieren. In vielen Orten leben diese schwarzen Vögel in Parks und Alleen quasi mitten unter uns und nicht alle sind darüber erfreut. Was ist da das Problem? Wo kommt es her? Und was können wir dagegen tun? Die Psychologin Dr. Uta Jürgens ist Expertin für die Beziehungen vom Menschen zur Natur und hat sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt.
Hier kannst du unser Gespräch hören:
Warum sich eine Psychologin für Mensch-Tier-Beziehung interessiert
Schon in ihrer Kindheit fühlte sich Uta Jürgens mit der Natur verbunden. Dass Menschen Teil der Natur sind, war für sie schon immer selbstverständlich. In ihrem Heimatort Ascheberg in Holstein war sie viel draußen unterwegs und ihre Familie lebte mit dem Rhythmus der Vögel. Die Krähen, die morgens und abends über ihr Haus flogen, wurden zu Frühstückskrähen und Abendkrähen. Und in jedem Jahr feierte die Familie ein kleines „Gänsefest“, um die Rückkehr der Gänse zu würdigen. Eine alte Saatkrähenkolonie war auf den regelmäßigen Hunderunden Teil ihres Alltags.
Als Uta Jürgens älter wurde, geriet die Saatkrähenkolonie in Gefahr. Plötzlich wurde sie als störend empfunden. Die Vögel sollten vertrieben werden. Um sie zu schützen, schlug Uta Jürgens einen anderen Weg vor: Sie entwickelte einen „Krähenpfad“, der unter den Kolonie hindurchführte und kindgerechtes Wissen über die Saatkrähen vermittelte. Er wurde zu einem kleinen Anziehungspunkt für ornitologisch interessierte Touristen.
Nach der erfolgreichen Umsetzung dieses ersten Krähenpfads wurde Uta Jürgens für weitere Projekten in anderen Städten angefragt. Sie wurde zu einer gefragten Expertin. Die Erfahrungen aus diesen Projekten inspirierte sie zur Wahl ihres Dissertationsthemas: „Die Psychologie der menschlichen Beziehungen zu Wildtieren“.

Warum wir manche Tiere lieben oder ablehnen
Für ihre Doktorarbeit untersuchte Uta Jürgens, welche Einstellungen und Gefühle das Verhältnis von Menschen zu Wildtieren prägen. Als Bespieltiere wählte sie Krähen, Wölfe und Spinnen. Sie wollte verstehen, warum manche Menschen von diesen Tieren fasziniert sind, während andere dieselben Tiere ablehnen. Welche Haltungen stecken dahinter und welche Faktoren können Konflikte verstärken oder entschärfen?
Drei psychologische Aspekte spielen dabei laut Uta Jürgens eine entscheidende Rolle:
1. Unser Selbstbild in der Natur
Sehen wir uns als Teil eines größeren Ganzen oder als jemanden, der die Natur „in den Griff bekommen“ muss? Empfinden wir uns als Teil der Natur oder als deren Herrscher*in?
2. Bedürfnis nach Kontrolle
Wollen wir Natur lenken oder ihr freien Lauf lassen? Können wir akzeptieren, dass Natur nicht immer planbar ist, oder wollen wir sie ordnen, beschneiden, unterwerfen?
3. Umgang mit Freiheit
Fällt es uns schwer zu akzeptieren, dass Tiere Dinge tun dürfen, die uns verboten sind? Wie, zum Beispiel, Lärm machen oder überall hinfliegen? Kommen wir damit klar, dass sie sich nicht an Regeln, Vorschriften und Gesetze halten müssen?
Diese Fragen helfen zu verstehen, warum beispielswiese Saatkrähen für manche Menschen faszinierende Stadtbewohner sind, während andere sie als Problem empfinden.


Das „Problem“ mit Saatkrähen
In vielen Städten leben Saatkrähen heute mitten unter uns. Sie sind auffällig, laut und selbstbestimmt – Eigenschaften, die manche Menschen als spannend erleben, andere als störend.
- Ihre Rufe gelten als Lärm, vor allem zur Brutzeit.
- Unter Bäumen, auf Wegen und auf Autos hinterlassen die Vögel Kotspuren.
- Als schwarze Vögel mit krächzender Stimme werden sie oft als bedrohlich empfunden – ein Erbe von Mythen, Aberglauben und Alfred Hitchcooks legendärem Film „die Vögel“.
Uta Jürgens erklärt, dass Saatkrähen nicht freiwillig in unseren Städten sind. Sie haben keinen besonderen Wunsch, dicht neben uns zu leben; für sie bedeutet das ebenfalls Stress. Unsere Städte sind für sie Notlösungen.
Ihr eigentlicher Lebensraum sind offene Landschaften. Doch diese sind inzwischen durch die intensive Landwirtschaft so verändert, dass sie dort nicht mehr leben können. Sie ziehen daher in Parks oder an Straßenränder, weil sie dort hohe Bäume und offene Flächen haben. Viele Menschen erleben diese Verlagerung ihres Lebensraums als „Invasion“ und fühlen sich gestört.
Häufig sollen Saatkrähen daher „vergrämt“, also vertrieben werden. In einigen Orten führte das dazu, dass Bäume gefällt werden oder versucht wird, die Saatkrähen durch Lärm oder Wasser zu vertreiben. Da die Vögel sehr schlau sind und unsere Maßnahmen durchschauen, sind solche Aktionen oft nicht zielführend, sondern verlagern oder verschärfen das „Problem“ nur, wie Uta Jürgens erklärt.
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Positive Lösungsansätze beim Umgang mit Saatkrähen
Viele der Faktoren, die Menschen als Störungen durch Wildtiere erleben, sind relativ. So ist Straßenlärm oft lauter als Krähenrufe, wird aber leichter akzeptiert, weil wir ihm einen klaren Nutzen zuordnen können, so Uta Jürgens. Der Schlüssel liegt darin, den Blick zu verändern und den Vögeln einen „Mehrwert“ abzugewinnen.
Konflikte lassen sich entschärfen, wenn wir Wissen und emotionale Nähe fördern. Statt die Tiere zu vertreiben, können Städte und Gemeinden kreative Wege finden, das Miteinander zu gestalten. Uta Jürgens hat dafür – neben ihrem Krähenpfad in Ascheberg – weitere Beispiele:
- Im kanadischen Charlottetown macht man aus der Ankunft großer Krähenschwärme ein Fest: Menschen verkleiden sich als Krähen, ziehen krächzend und lärmend durch die Straßen und feiern die Vögel. Die Krähen bleiben genauso laut und präsent wie vorher – aber solch ein freudiges Fest kann die Einstellung zum Positiven verwandeln.
- Das Schlossmuseum Jever installierte die erste deutsche Webcam in einem Saatkrähennest im Schlosspark. Plötzlich konnten Menschen live die Brut und Aufzucht mitzuverfolgen. Auch gaben sie der nistenden Saatkrähe den Namen Mathilde und schufen dadurch die Möglichkeit zu einer persönlichen, emotionalen Verbindung.
- In Jever gibt es außerdem Krähen-Workshops für Kinder. Dort lernen Kinder die Krähen oben im fernen Nest spielerisch kennen. Sie bauen selbst Nester und Wissen wird für sie erfahrbar gemacht. So entsteht nicht nur bei den Kindern, sondern auch in ihren Familien ein emotionaler Bezug, der Konflikte entschärfen kann.
- In einem anderen Projekt in Thalwil bei Zürich wurden mit Krähen-Lockpfeifen Musik gemacht. Diese Pfeifen werden sonst von Jäger*innen verwendet, um Krähen anzulocken und zu töten. In diesem Fall wurde daraus aber eine Art Orgel gebaut, die sehr schräge Krähenmusik machte. Krähenkrächzen weckt so positive Erinnerungen an dieses lustige Event.
Uta Jürgens betont, dass keiner dieser Ansätze die praktischen Herausforderungen löst, die eine Saatkrähenkolonie in der Stadt mit sich bringt. Sie können jedoch Verständnis schaffen, die emotionale Ablehnung senken und neue Perspektiven eröffnen . Sie machen Hoffnung, dass wir nicht nur unser Bild von Krähen verändern können, sondern auch unser Verhältnis zur Natur.
Weiterführende Links
Uta Maria Jürgens‘ Doktorarbeit: The psychology of human relations to wildlife: Factors and processes contributing to intense and polarized reactions to wild animals, Universität Zürich 2022.
Die Saatkrähe Mathilde aus dem Schlossmuseum Jever: Bitte hier entlang
Mehr zu Uta Jürgens Arbeit unter uta.info.
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Das tolle Foto der Saatkrähe in der Löwenzahlwiese stammt von Estormiz und steht wunderbarerweise unter CC-0-Lizenz.
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