Hast du dich schon mal gefragt, wie das Leben auf einer einsamen Insel mitten im Meer ist? Das ist deine Chance, es zu erfahren. Zu Gast ist heute bei mir Carolin Rothfuß. Sie ist Leiterin des Nationalparkhauses auf Neuwerk und erzählt vom Leben auf der Insel und natürlich von den Vögeln im Wattenmeer.
Carolin Rothfuß, Leiterin des Nationalparkhauses Neuwerk
Dass sie mal auf Neuwerk landen würde, hat Carolin Rothfuß früher wohl auch nicht geahnt. Sie kommt ursprünglich aus Süddeutschland. Nach ihrem Abitur machte sie ein freiwilliges ökologisches Jahr mit dem Verein Jordsand an der Ostseeküste und diese Zeit hat sie nachhaltig geprägt. Zum Studium ging sie dann noch mal zurück nach Süddeutschland und studierte auf Lehramt.
Nach ihrem ersten Staatexamen wollte sie wieder in der Umweltbildung tätig werden und leistete Bundesfreiwilligendienst auf Neuwerk. Die Insel verließ sie danach nicht mehr, sondern übernahm erst die Elternzeitvertretung der damaligen Leiterin des Nationalparkhauses und arbeitete dann für zwei Jahre in einem Hotel. Als ihre Vorgängerin aufs Festland ging, bewarb sich Carolin auf die Stelle und bekam sie.
Seitdem leitet sie für den Jordsand ein kleines Team aus Bundesfreiwilligen, Praktikant*innen und dem Vogelwart auf Scharhörn. Zu ihrem Job gehört unter anderem die regelmäßige Zählung aller Vögel, die in ihrem Gebiet des Nationalparks rasten, und die Brutvogelkartierung im Frühjahr.
Sie betreibt außerdem Öffentlichkeitsarbeit im Nationalparkhaus und verantwortet die naturkundliche Ausstellung dort, konzipiert und leitet Führungen auf der Insel und hat nebenbei auch noch Papierkram zu erledigen.
Ihre liebste Zeit auf der Insel ist die Jungvogel-Zeit im Frühjahr, wenn die kleinen Pulli (Küken) der Watvögel über die Insel flitzen. Wenn sie gezwungen wird sich festzulegen, ist Carolin Rothfuß‘ Lieblingswatvogel der Säbelschnäbler und ihr Lieblingssingvogel der Stieglitz.
Die Nordseeinsel Neuwerk
Neuwerk ist eine kleine Insel an der Elbmündung im deutschen Wattenmeer. Obwohl Neuwerk direkt vor der Küste Niedersachsens liegt, gehört es zu Hamburg-Mitte. Es liegt folgerichtig im Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer.
Außer Neuwerk gibt es dort noch zwei weitere Inseln: Nigehörn und Scharhörn. Neuwerk ist die größte und einzige dauerhaft-bewohnte Insel der drei. Die beiden anderen sind Vogelschutzinseln in der Kernzone des Nationalparks.
Ein Drittel von Neuwerk ist Teil der Kernzone des Nationalparks und steht unter besonderem Schutz. Nigehörn und Scharhörn sind vollständig geschützt. Das ganze Jahr ist die Vogelwelt rund um Neuwerk besonders vielfältig.
Das Besondere an der Vogelwelt rund um Neuwerk
Das Wattenmeer wird gerne als „die Drehscheibe der ostatlantischen Vogelzugroute“ bezeichnet. Es liegt zwischen den Brutgebieten im Norden und den Wintergebieten im Süden. Millionen Vögel rasten dort im Frühjahr und Herbst, um sich für die Weiterreise in ihre Winter- oder Brutgebiete zu stärken.
Die Vögel nutzen hauptsächlich die Wattflächen, um Nahrung zu finden. Wenn die Flut kommt, suchen sie einen sicheren Ort, an dem sie sich aufhalten können, der nicht überspült wird. Dafür nutzen sie besonders gerne die Inseln im Wattenmeer, unter anderem, weil sie dort am wenigsten gestört werden.
Auf Neuwerk brüten mehrere Möwen- und Seeschwalbenarten, Limikolen wie Austernfischer oder Rotschenkel, Kiebitze und natürlich Singvögel.
Zu Zugzeiten sind die arktischen Gänse besonders eindrucksvoll. Auf der Frühjahrsrast bleiben Tausende Weißwangen- und Ringelgänse zwei bis drei Monate auf der Insel. Außerdem ziehen viele Limikolen und Greifvögel über die Insel und auch Singvögel fallen plötzlich zu Tausenden vom Himmel und sind genauso schnell wieder weg.
Ein besonderes Highlight war vor einigen Jahren ein Blauschwanz, der die Insel kurz vor Saisonbeginn besuchte.
Die Hauptproblem für Vögel im Wattenmeer
Natürlich ist auch im Wattenmeer nicht alles nur idyllisch:
Brutplatzverluste
An der Küste gibt es viele Vögel, die eigentlich am Strand brüten. Dort ist aber der Freizeitdruck durch Menschen so hoch, dass sie gestört werden und dadurch ihre Gelege aufgeben oder unachtsame Menschen oder Hunde zerstören die Nester nebenbei.
Auf den Inseln Scharhörn und Nigehörn gibt es zwar keine Störungen durch Menschen, aber durch die natürliche Erosion, die durch Sturmfluten entsteht, wird auch hier der Strand und damit der Lebensraum der Vögel kleiner.
Nahrungverfügbarkeit
Durch die Überfischung steht den Vögeln immer weniger Nahrung zur Verfügung.
Die Veränderung der Wassertemperatur sorgt dafür, dass Fische aus unseren Breiten nach Norden abwandern, weil das Wasser ihnen zu warm wird. Die steigende Wassertemperatur sorgt auch dafür, dass Fische nach dem Winter früher mit dem Laichen beginnen. Die jungen Fische sind dann zu groß, um an die Jungvögel verfüttert werden zu können.
Das führt dazu, dass Seeschwalbenküken in Nestern verhungern, die voll von Fischen sind, weil diese zu groß sind, als dass die jungen Seeschwalben sie runterschlucken könnten.
Meeresspiegelanstieg
Durch den Meeresspiegelanstieg werden Salzwiesen dauerhaft überflutet. Sie sind ein wichtiger Lebensraum am Wattenmeer.
In den letzten Jahren kam es immer wieder zu Sommersturmfluten, die besonders tragisch für die Vögel sind. Das Wasser kommt, wenn die Vögel auf den Eiern sitzen und brüten oder wenn die Küken grade geschlüpft sind. Nester werden weggespült, die Küken ertrinken. Daher werden diese Fluten auch Kükenfluten genannt.
Da Vögel nicht unendlich nachbrüten können, gibt es ganze Brutperioden, in denen keine Küken flügge werden.
Elbvertiefung
Die Elbe wurde vertieft, damit noch größere Containerschiffe nach Hamburg in den Hafen fahren können. Um die Fahrrinne in dieser Tiefe zu erhalten, müssen regelmäßig Unterhaltsbaggerungen durchgeführt werden. Dabei fällt viel Baggergut an.
Es gibt Pläne, dieses Baggergut in der Nähe von Scharhörn zu verklappen. Durch die starken Strömungen dort, wird das Sediment verdriften und sich verteilen. Vor den Küsten der Region ist Sandwatt. Das Baggergut ist Schlickwatt. Die Elbvertiefung führt also zu einer Verschlickung des Wattenmeers in diesem Bereich.
Die Folgen für die Menschen auf Neuwerk sind dramatisch, denn die Versorgung der Insel erfolgt hauptsächlich mit Treckern durchs Watt. Wird der Sandboden zu schlickig, kommen die Trecker nicht mehr durch, die Insel kann nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt werden.
Aber auch die Artenzusammensetzung verändert sich. Der Sandaal beispielsweise braucht Sandboden, um darin zu überwintern. Kann er das nicht mehr, fehlt er als erste Nahrungsquelle für die zurückkehrenden Seeschwalben. Alles hängt mit allem zusammen.
Der zerbrechliche Schutz der Nationalparks
Das Wattenmeer steht großräumig als Nationalpark unter Schutz. Es gibt jedoch trotzdem weiterhin Versuche, den Schutzstatus aus Wirtschaftsinteressen aufzuweichen. Die Arbeit von Naturschützenden endet also nicht, wenn etwas unter Schutz gestellt wird. Auch danach ist es wichtig, im Blick zu behalten, dass der Schutz auch tatsächlich greift und nicht für wirtschaftliche Interessen ausgehöhlt wird.
Vielen Dank an Carolin Rothfuß für das interessante Gespräch und die vielen spannenden Informationen über das Leben auf Neuwerk und im Wattenmeer.
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