Hast du schon mal von Twitching gehört? Twitching ist eine besondere Form der Vogelbeobachtung. Während Vogelgucker*innen und viele andere Vogelfans ihre Umgebung erkunden und Freude daran haben, die heimische Vogelwelt zu beobachten, ist es beim Twitching das Ziel, möglichst viele seltene Arten auf die Liste zu bekommen. Doch was motiviert diese Menschen, alles stehen und liegen zu lassen, nur um einen Vogel zu sehen? Dieser Frage gehe ich in diesem Beitrag nach, werfe einen kritischen Blick auf das Phänomen Twitching und beleuchte, welche Herausforderungen und Risiken damit verbunden sein können.
Ein paar Vokabeln aus diesem Bereich
- Twitching, eingedeutscht auch: twitchen: Form der Vogelbeobachtung, bei der es darum geht, möglichst viele seltene Arten zu sehen
- Twitcher: Mensch, der twitchen geht
- Tick: eine Erstsichtung, ein Haken (=Tick) auf der Liste
- Life List: Lebensliste, also eine Liste, auf denen jede Vogelart festhalten ist, die man im Laufe des Lebens gesehen hat
Was ist Twitching und was macht ein Twitcher?
Twitching ist eine spezielle Form der Vogelbeobachtung, bei der sich die Twitcher auf das Aufspüren seltener Vogelarten konzentrieren. Das Ziel beim Twitching ist es, seltene oder schwer zu findende Vögel zu sehen – am besten Arten, die nur sporadisch in einer bestimmten Region vorkommen. Twitcher begeben sich regelrecht auf die Jagd nach diesen besonderen Vögeln. Sie wissen nie genau, ob der seltene Vogel noch dort sein wird, wenn sie ankommen, oder ob das Wetter mitspielt. Das macht Twitching zu einem spannenden Abenteuer.
Typisch für Twitcher ist die enorme Begeisterung, wenn eine seltene Vogelart gemeldet wird. Für die Informationsweitergabe gibt es eigene Gruppen und Plattformen, über die diese Sichtungen bekannt gegeben werden. Sobald ein seltener Vogel gesichtet wurde, machen sich die Twitcher auf den Weg, nur um einen kurzen Blick auf diesen Vogel zu werfen – und um ihn auf ihrer Liste abzuhaken. Entfernung spielt für viele Twitcher dabei meist keine Rolle.
Beim Twitching geht es auch um Vergleich und Wettbewerb: Viele Twitcher führen Listen der seltenen Vogelarten, die sie im Laufe ihres Lebens gesehen haben – je länger die Liste, desto angesehener sind sie in der Twitcher-Community.
Die Schattenseiten des Twitchings
Twitching klingt bestimmt für viele erstmal aufregend: die Suche nach seltenen Vogelarten, das Aufspüren von Sichtungen und die Freude, einen besonderen Vogel zu entdecken, Spannung, Action, Abenteuer! Doch neben dieser Faszination hat Twitching auch Schattenseiten.
Twitching und die Auswirkungen auf die Umwelt
Twitching ist oft mit vielen Autofahrten oder gar Flugreisen verbunden, denn seltene Vogelarten tauchen manchmal hunderte oder sogar tausende Kilometer entfernt auf. Viele passionierte Twitcher machen sich schnell auf den Weg und legen weite Strecken zurück – oft ohne Rücksicht auf die Umwelt.
Die Anreisen, die für Twitching typisch sind, verbrennen Ressourcen, tragen zur Feinstaubbelastung bei und führen im Normalfall zu einem hohen CO₂-Ausstoß. Einige Twitcher versuchen zwar, umweltfreundlichere Alternativen wie Fahrgemeinschaften oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, aber dies ist nicht immer möglich.
Twitching schadet damit nicht nur Vögeln und Menschen, sondern den meisten Lebewesen und Lebensräumen auf unserem Planeten. Das ist uncool und nicht nachhaltig.
Stress für die Vögel und ihre Lebensräume
Neben der Umweltbelastung kann Twitching auch für die Vögel selbst zu einem Problem werden. Wenn sich ein seltener Vogel in einer bestimmten Region zeigt, zieht das oft viele Beobachtende an – manchmal in einer so großen Anzahl, dass der Vogel und das gesamte Ökosystem an diesem Ort nachhaltig gestört werden.
Besonders Zugvögel, die auf ihrer Reise eine Pause einlegen, und seltene Arten, die offensichtlich eine weitere Reise hinter sich haben, brauchen viel Ruhe, um Energie auftanken und weiterfliegen zu können.
Zu viele neugierige Beobachtende können Vögel in Stress versetzen, sodass sie sich gezwungen sehen, ihre Pausenorte zu verlassen. Das kann dazu führen, dass die Tiere erschöpft weiterfliegen oder die Brutpflege vernachlässigen. Für jedes Individuum, aber auch für gefährdete Vogelarten allgemein können diese Störungen langfristige negative Folgen haben.
Der Ehrgeiz, der manche Twitcher umtreibt, kann zu fragwürdigem Verhalten führen, etwa dem Betreten von Schutzgebieten oder dem Verlassen von Wegen, um näher an einen Vogel heranzukommen, dem illegalen Anlocken des Vogels mit Klangattrappen oder dem Stören und Behindern anderer Vogelfans.
„Listen-Wahn“ und die Jagd nach Anerkennung
Für einige Twitcher steht das Sammeln seltener Vogelarten im Vordergrund. Sie führen oft sogenannte „Life Lists“ – Listen, auf denen sie jede Vogelart festhalten, die sie im Laufe ihres Lebens gesehen haben. Für einige Twitcher ist es ein großer Ansporn, diese Listen ständig zu erweitern und so auch mehr Anerkennung zu bekommen. Das kann dazu führen, dass der Fokus weniger auf den Vögeln selbst und der Schönheit der Natur liegt, sondern es eher um die Anzahl und Seltenheit der gesichteten Arten geht.
Das Risiko, den Moment aus den Augen zu verlieren
Für viele Vogelfans hat die Beobachtung von Vögeln eine entspannende, entschleunigende Wirkung, die uns aus uns selbst heraushebt und der Natur näherbringt. Doch bei Twitching, wo oft Schnelligkeit und Zielstrebigkeit gefragt sind, geht diese Ruhe verloren. Manchmal bedeutet Twitching, früh morgens aufzustehen, lange Strecken zu fahren, nur um dann möglicherweise den seltenen Vogel zu verpassen oder ihn nur kurz zu sehen, bevor man weiterzieht.
Dieses Jagen kann bei manchen Twitchern die ursprüngliche Freude an der Vogelbeobachtung in Stress verwandeln. Sie erleben die Vögel oft nur flüchtig und konzentrieren sich mehr auf das Erwischen und Abhaken der Art als auf die Details ihrer Schönheit und ihres Verhaltens.
Wie kannst du verantwortungsbewusster twitchen?
Twitching kann eine aufregende Art der Vogelbeobachtung sein, und es ist bestimmt möglich, dieses Hobby mit Rücksicht auf die Vögel zu betreiben. Wer sich also auf den Weg macht, seltene Vögel zu suchen, sollte die Verantwortung nicht vergessen, die wir gegenüber der Natur haben. Hier einige Tipps, wie du verantwortungsbewusster und nachhaltiger twitchst:
- Fahrten reduzieren: Statt jedem seltenen Vogel hinterherzujagen, könntest du dich auf bestimmte Regionen beschränken, möglichst öffentliche Verkehrsmittel nutzen und Fahrgemeinschaften bilden.
- Rücksicht auf die Vögel nehmen: Vogelfans sollten immer einen respektvollen Abstand halten, Schutzgebiete respektieren und auf den Wegen bleiben. Selbst wenn es verlockend ist, ganz nah heranzugehen, um einen besseren Blick oder das perfekte Foto zu bekommen, sollte das für echte Vogelfans tabu sein, denn die oberste Prämisse sollte stets sein, die Vögel nicht zu stören.
- Naturerlebnis in den Fokus rücken: Twitching muss nicht nur dem „Sammeln“ seltener Vogelarten dienen. Sich auf das Erlebnis und die Freude an der Beobachtung zu konzentrieren, kann helfen, das Hobby nachhaltig und respektvoll auszuüben.
Persönliches Fazit
Für mich ist Twitching mehr als eine Erweiterung des „Hobbys Vogelbeobachtung“ für gelangweilte Ornis, die bereits alles gesehen zu haben glauben. Mit seinem Wettbewerbscharakter und der Billigung der negativen Auswirkungen auf die Umwelt hat es für mich nichts mit dem eigentlichen Kern der Vogelbeobachtung – der Naturverbindung – zu tun. Statt aus sich herauszutreten und versunken einen Moment zu erleben, bei dem ausnahmsweise mal nicht die eigene Person oder das eigene Leben im Vordergrund steht, geht es beim Twitching um höher-schneller-weiter, um Kapitalismus und Ego. Vögel selbst scheinen bei dieser Jagd eher ein mehr oder weniger zufälliges Nebenprodukt des Kicks zu sein, den ein neuer Haken auf der Liste bringt. Aber vielleicht habe ich bisher ja einfach nur die falschen Twitcher kennengelernt.
Weiterführende Literatur
Zwei Bücher, die Twitching aus einer Insider-Perspektive beschreiben:
- Noah Strycker: Vogelfrei. Fünf Kontinente, 41 Länder und 6042 Vogelarten – meine große Reise
Noah Strycker berichtet in diesem Buch von seinem „Big Year“, also einem Jahr, in dem er durch die ganze Welt jettet, um so viele Vogelarten wie möglich sieht.
Du bekommst das Buch, überall wo es Bücher gibt, zum Beispiel hier bei Amazon*. - Mya-Rose Craig: Birdgirl. Meine Familie, die Natur und ich
Mya-Rose Craig wächst in einer Familie von Twitchern auf. Als bei ihrer Mutter eine bipolare Störung ausbricht, beginnt die Familie, um die Welt zu reisen, um möglichst viele Vogelarten zu sehen.
Du bekommst das Buch, überall wo es Bücher gibt, zum Beispiel hier bei Amazon* oder in der Autorenwelt.
→Hier findest du Kurzrezensionen zu beiden Büchern.
Coverfoto von Wolfgang Vogt via Pixabay
*Die mit *Sternchen gekennzeichneteten Links sind Affiliate Links. Das bedeutet, dass du bei einem möglichen Einkauf meine Arbeit unterstützt, weil der Händler mir ein paar Cent abgibt. Für dich entstehen dabei keine Mehrkosten oder Nachteile. Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Verkäufen.
0 Kommentare