Heute geht es um drei menschliche Verhaltensweisen, die zwar sehr beliebt und verbreitet sind, aber die besonders jetzt in der Brutzeit gar nicht cool für Vögel sind. Dabei ist es ganz leicht, all das nicht zu tun und damit sogar Vogelleben zu retten. Aber leider hört für einige die Vogelliebe genau an diesen Punkten auf. Es kann also sein, dass es hier um Sachen geht, über die du dich ganz furchtbar aufregen musst und du mich danach nicht mehr leiden kannst. Wenn du da genauso wenig Bock drauf hast wie ich, such dir gerne eine andere, heitereren Beitrag aus. → Diesen hier zum Beispiel.
Du bist noch da und tiefenentspannt? Cool. Dann mal los!
In dieser Folge haben eine Singdrossel, Baumhopfe, Flussregenpfeifer und Stieglitze ihren großen akustischen Auftritt. Alle weiteren Links findest du an der entsprechenden Stelle im Text markiert. Carina Wohlleben findest du u.a. als @vegan.wohl.leben auf Instagram.
1. Von Nestern fernhalten
Nester sind spannend, ich weiß. Sie sind deshalb beliebte Foto- und Forschungsobjekte von Naturinteressierten und Fotobegeisterten. Und diese Menschen richten dabei ohne böse Absicht so ganz nebenbei so richtig viel Schaden an.
Vögel sind besonders zur Brutzeit sehr verwundbar. Sie können dann nicht einfach ihren Standort wechseln. Sie sind an ihr Nest gebunden. Sie sind sehr stationär und kommen immer wieder zum selben Ort zurück. Das macht sie auch für ihre Fressfeinde berechenbar. Auch sind sie erschöpfter als sonst und auf eine Sache konzentriert: Reproduktion. Auch das trägt dazu bei, dass sie leichtere Beute werden.
Und auch wir Menschen sind für Vögel potenzielle Feinde. Wir sind groß, laut, hektisch und riechen merkwürdig. Wir stören sie. Wir stören sie in ihren normalen Abläufen und ihrem normalen Verhalten. Sie verlassen das Nest für einige Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen und verzögern ihre Rückkehr. So können die Eier auskühlen und die Embryonen darin sterben. Vögel bleiben so lange wie möglich vom Nest fern, wenn wir uns in der Nähe aufhalten. Sie kommen seltener zum Füttern. Vielleicht verlassen sie ihr Nest und ihren Nachwuchs ganz, weil ihnen der Standort unsicher erscheint. Die Küken verhungern.
Selbst wenn sie uns kennen oder zumindest an menschliche Nähe gewöhnt sind und sich wider allen Instinken nicht von uns stören lassen würden, so birgt unsere Neugier noch eine andere Gefahr: Wir können durch sie Feinde erst auf das Nest aufmerksam machen. Zwar ist ein Nest, das sogar wir Menschen finden, höchstwahrscheinlich eh nicht besonders gut versteckt, aber wir müssen es ja nicht noch heraufbeschwören.
Ich kann deine Neugier und deine Freude an der Natur und an Vögeln so gut verstehen, wirklich, und ich finde sie toll! Aber bitte stell deine eigenen Bedürfnisse mit diesem, vielleicht für dich neuen Wissen kurz zurück und halte dich von Nestern fern! Halte Abstand. Lass die Vögel in Ruhe. Die Nester kannst du auch im Herbst noch prima und in aller Ruhe untersuchen, wenn sie verlassen sind.
Eine viel bessere Alternative
Es gibt auch noch andere, für die Vögel ganz ungefährliche Möglichkeiten, sie bei der Brut zu beobachten (und in diesem Fall überwiegt der Nutzen wohl ausnahmsweise dem Anspruch auf Privatsphäre): Webcams.
Es gibt unzähliche Vogel-Webcams im ganzen Land, ach was: auf der ganzen Welt, mit denen wir uns die Brutzeit der Vögel ganz genau anschauen können, vom Nestbau über die Balz, die Eiablage bis zum ersten Riss im Ei. Wir können die kleinen Schnäbelchen sehen, wie sich sich aus dem Ei kämpfen, und kurz später bei ihrem ersten „Fresschen“ beobachten. Wir können zusehen, wie die Minis jeden Tag größer und größer und größer werden und schließlich ausfliegen. Egal, ob Weißstorch, Fischadler, Uhu, Mauersegler oder Blaumeise.
Oder darf es etwas Ausgefalleneres sein? Wie wäre es mit einem Bermuda-Sturmvogel live von den Bermudas, dem Lanzettschwanzpipra direkt aus Panama, niedlichen kleinen Baumhopfen in Südafrika oder einem Königsalbatros aus Neuseeland?
Aber Vorsicht: Es ist nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen, was es da zu sehen gibt.
2. Hunde anleinen
Bodenbrüter in Gefahr!
Besonders Vögel, die am Boden brüten, sind störungsempfindlich. Dazu gehören viele Vogelarten, deren Bestand stark eingebrochen ist: Kiebitz, Uferschnepfe, Großer Brachvogel, Rebhühner und unser Vogel des Jahres 2023, das Braunkehlchen.
Bei ihnen passiert es häufig, dass sie ihre Brut verlassen und sie ganz aufgeben, wenn sie gestört werden, weil sie sich dann nicht mehr sicher fühlen. Viele von ihnen starten keine Zweitbrut mehr und haben in dem Jahr dann überhaupt keinen Nachwuchs.
Und damit kommen wir zu Punkt zwei, wie du ganz leicht Vogelleben retten kannst: Bitte bleib besonders zur Brutzeit auf den Wegen, leine deinen Hund an und lass ihn nicht durch Wiesen und über Felder laufen. Auch nicht an der Schleppleine. Überhaupt: Schleppleinen, puh. Aber für heute reicht die Vorstellung davon, was mit so einem Bodenbrüternest passiert, wenn da einmal quer so eine Leine durchgezogen wird.
Töten nebenbei
Ich will hier auch gar nicht unterstellen, dass alle Hunde hilflose Jungtiere jagen und töten. Oder einfach mal abbeißen wollen. Nee, es gibt auch bestimmt ganz furchtbar liebe, die niemals einer Fliege was zuleide tun würden. Jagdtrieb oder Aggression müssen auch gar nicht sein, damit Vögel sterben. Es reicht schon aus, wenn sie durch ihre bloße Anwesenheit brütende Vögel stressen und aufscheuchen, die dann ihre Brut aufgeben, oder auf ihren Erkundungszügen einfach mal quer durch so ein gut getarntes Nest laufen, das danach Brei ist.
Auch wir Menschen können beim Herumlaufen ganz nebenbei und unbeabsichtigt Bodenbrüternester zerstören. Die sind nämlich mega gut getarnt und wir bemerken sie oft noch nicht mal, wenn wir quer durchgelatscht sind. Das kann mit Braunkehlchen- oder Rebhuhnnestern auf Wiesen und Feldern passieren, aber auch an Kiesbänken oder Sandstränden. Denn auch dort brüten Vögel am Boden, Sand- und Flussregenpfeifer zum Beispiel. Die legen ihre Eier offen auf Sandflächen und Kiesbänken ab. Sie sind total unauffällig und so gut getarnt, dass sie mit ihrer Umgebung verschmelzen und fast unsichtbar werden. Das ist zwar Absicht und soll sie eigentlich besser vor Feinden schützen, bei so großen Tieren wie uns bewirkt das aber leider das Gegenteil, wenn wir sie übersehen und versehentlich drauftrampeln.
Elterlicher Rettungsversuch: Verleiten
Fluss- und Sandregenpfeifer reagieren wahrhaft oskarverdächtig, wenn sie ihr Nest in Gefahr sehen. Nähert sich ein Feind dem Nest, versuchen sie, ihn abzulenken. Sie haben dafür ein paar coole Strategien. Eine davon nennt sich Verleiten. Auch Kiebitze z.B. können das gut. Dabei täuscht der Elternvogel eine Verletzung vor, indem er humpelt, durch die Gegend stolpert und einen Flügel hängen lässt. Dabei benimmt er sich ziemlich auffällig und höchst theatralisch, bewegt sich bei seinem Herumgekaspere aber unauffällig vom Nest und seinem Nachwuchs weg. Hat er so den Feind weit genug weggelockt, widerfährt ihm eine scheinbare Blitzheilung, er fliegt zu seinem Nachwuchs zurück.
Auch wenn das sehr heroisch und cool anzusehen ist, WIR wollen nicht der Auslöser für so einen Verleitungsrettungseinsatz sein, ne? Deshalb: Bitte bleib auf den Wegen und leine deinen Hunde an, wenn du einen hast.
3. Katze drinnen behalten
Wenn du dich jetzt immer noch nicht über mich aufregst, wage ich mich mal an ein Thema, um das auch die großen Naturschutzverbände wegen seiner Brisanz nur herumschleichen. Hier kommt also der dritte Grund, dich volle Lotte über mich aufzuregen, und ein weiterer Auslöser nicht nur für viele Diskussionen, sondern leider auch für handfesten Vogeltod: Freigängerkatzen.
Nee, schon klar: DEINE natürlich nicht. Die ist mega süß und total harmlos und die zwei, drei Vögelchen, die sie im Jahr anschleppt, sind doch lieb gemeinte Geschenke an dich. Aber lass uns das mal kurz hochrechnen:
Die schiere Masse
Allein in Deutschland leben so um die 16 Millionen Hauskatzen. Etwa 70% von denen halten sich regelmäßig unbeaufsichtigt draußen auf. Jede schleppt durchschnittlich 4 Vögelchen nach Hause. Die wahre Zahl der getöteten liegt etwas um ein Dreifaches höher. Da sind wir schon bei über 130 Millionen getöteter Vögel jedes Jahr. Dazu kommen dann noch einmal ein paar, die streunenden Katzen zum Opfer fallen und zack sind wir bei 200 Millionen. 200 Millionen zusätzlich getötete Vögel pro Jahr nur bei uns. EINE Katze ist also nicht das Problem. Mehrere Millionen Katzen aber schon.
Katzen sind domestizierte Tiere, die wir auf die Natur loslassen. Im Fachjargon nennt man sie: gebietsfremde, invasive Art – genau wie Nilgänse, Waschbären und Staudenknöterich, über die wir uns so gerne aufregen. Und besonders perfide: Katzen töten nicht, um zu überleben. Sie töten, weil wir vergessen haben, ihnen das abzuzüchten, nachdem sie nicht mehr für die Mäusejagd rund um unsere Kornspeicher gebraucht wurden. Katzen sind nirgendwo Teil der Ökosysteme und nicht Teil der natürlichen Kreisläufe, weil sie nicht natürlich entstanden sind. Sie können nichts dafür, aber wir Menschen müssen die Verantwortung für sie übernehmen.
Sonderstellung von Katzen
Wo kommt eigentlich diese Sonderstellung für Katzen her? Weder Hunde, Schafe, Kühe, Schlangen, Meerschweinchen und noch nicht mal Kinder dürfen unbeaufsichtigt durch die Gegend laufen und in Nachbars Garten ka**en. All denen würde das auch Spaß machen, wenn sie das dürften, aber wir lassen das nicht zu – aus guten Gründen: Es ist in ihrem Interesse.
Ein dreijähriges Kind ist zwar besser im Stande, die Straßenverkehrsordnung zu begreifen als eine Katze, sicherheitshalber dürfen Kinder in dem Alter aber trotzdem nicht alleine am Straßenverkehr teilnehmen. Katzen hingegen kommen aus eben diesem Grund regelmäßig unter die echten Räder und sterben oder verschwinden auf anderen mysteriösen Wegen. In unserem Viertel sucht eigentlich immer irgendjemand eine Katze … was nicht sein müsste, wenn sie nicht unbeaufsichtigt raus dürften. Es wäre also auch im Interesse der Katzen und ihrer liebenden Haltenden, wenn sie ein sicheres, längeres Leben führen könnten.
Die Gefahren durch Katzen
Aber zurück zu unserem eigentlichen Problem: Katzen töten die allermeisten Vögel zur Brutzeit, also zwischen ungefähr März und Juli; in einer Zeit also, die entscheident für die Fortpflanzung der Arten ist. Besonders Jungvögel, die das mit dem Fliegen und dem Fliehen noch nicht richtig drauf haben, sind leichte Opfer. Zack – wieder ein Hoffnungsträger dieser Art getötet. Aber selbst wenn sie einen Altvogel erwischen, der sich bereits fortgepflanzt hat, fällt er als Versorger für die Brut aus, die dann ebenfalls häufig stirbt. Sieben bis 17 Vogelleben auf einen Streich also, juhu 🙁
Aber selbst wenn eine Katze so richtig aus der Art schlägt und niemals, niemals ein Vögelchen töten würde: Sie verursacht noch mehr Probleme. Allein ihre Anwesenheit stresst Vögel. Sie meiden die Umgebung grundsätzlich. Und da das Lebensraumangebot für Wildtiere ja eh nicht so mega groß ist, ist das ein Problem. Öft müssen Vögel notgedrungen doch den katzenverseuchten Lebensraum nutzen und sind dann im Dauerstress. Das führt dazu, dass ihre eigene Lebenserwartung sinkt. Katzen in der Umgebung führen auch dazu, dass Eltern Umwege fliegen, um den Neststandort nicht zu verraten, also mehr Zeit verschwenden, und insgesamt aus Angst und Stress ihre Jungen weniger füttern. Die Jungen sind dann schwächer, wenn sie das Nest verlassen, und noch leichtere Beute für die Kätzchen und andere Beutegreifer.
Außerdem haben Katzen ein für Vögel tödliches Bakterium. Das kann über die Mundschleimhaut der Katze auch durch kleinste Verletzungen in der Haut in den Blutkreislauf des Vogels gelanent. Selbst wenn Katzen also nur mal kurz zupacken und die Beute dann wieder fliegen lassen, sterben die Vögel nach Kontakt in kürzester Zeit an diesem Bakterium.
Trick 3 also, um richtig viele Vogelleben zu retten: Lasst die Katze im Haus.
Das Titelbild stammt von Nadine Doerle.
In unserem Siedlungsgebiet mit rund 1 ha (10.000 m2) Fläche leben 12 Katzen, alles Freigänger. Für die Jungvögel geht‘s vom ersten Tag an um Leben und Tod. Erst vorgestern hat ein braver Stubentiger seinem Frauchen ganz stolz eine gerade mal 6 Wochen alte Jungamsel präsentiert. In meinem Garten brütet ein Amselpaar. Ein Junges aus der ersten Brut (Anfang März) ist gestern hier verstorben – hatte wohl „Katzenkontakt“. Interessant und anrührend zugleich, beide Eltern hatten die letzten Minuten nahezu regungslos in seiner Nähe gesessen. Das Nest der zweiten Brut wurde komplett ausgeräumt. Gerade sitzt die Mutter auf dem 3. Gelege – leider ist auch der neue Nistplatz in der Heckenanlage für Katzen gut erreichbar. Trotz zusätzlichen „Absperrungen“ aus stacheligem Gitterdraht sind die Katzen nicht fernzuhalten. In Kürze werden aus den Meisen-Nestlingen Ästlinge, dann hilft wohl nur der Rasensprenger im Dauerbetrieb, um die Lieblinge der Nachbarn fernzuhalten.
Das ist echt ein schwieriges Thema. Umso wichtiger finde ich, dass Du, Silke, es angesprochen hast. Katzen, Hunde und neugierige Menschen sind eine Gefahr für den Vogelnachwuchs. Und nicht nur für die, ich habe auch schon beobachtet, wie eine Katze junge Blindschleichen gejagt hat.
Ich danke dir für deine Nachricht, liebe Ingrid. Und du hast recht: Katzen verursachen durch ihren unkontrollierten Spiel- und Jagdtrieb auch noch so viel anderes Leid. Ich habe gelesen (und dann gleich wieder ausgeblendet), dass Vögel nur einen kleinen Prozentsatz ihrer Opfer ausmachen. Auch die Amphibien und Kleinsäuger brauchen also dringend eine Lobby.