Franziska Schmidt: schützt das Braunkehlchen, Vogel des Jahres 2023

Kennst du schon den „Vogel des Jahres 2023“ in Deutschland und in Österreich? Es ist das Braunkehlchen und darüber freue ich mich sehr. Einerseits weil es bei der Wahl in Deutschland mein Favorit war und damit auch ICH ein kleines Bisschen die Wahl gewonnen habe, ich gebe es zu. Aber andererseits war das Braunkehlchen auch mein Favorit, weil es viele menschgemachte Probleme hat, die wir dringend abstellen müssen. Deshalb freue ich mich besonders, dass ich in dieser Podcast-Folge die Braunkehlchen-Expertin Franziska Schmidt zu Gast habe, die uns mehr über den aktuellen „Vogel des Jahres“ erzählen kann:

Franziska Schmidt, Braunkehlchenschützerin

Franziska ist Biologin und arbeitet bei der Landschaftspflegevereinigung Lahn Dill e.V. (kurz: LPV) im Braunkehlchenschutz. Obwohl sie sich schon seit ewig für Vögel interessiert, kannte Franziska das Braunkehlchen lange gar nicht. Erst während ihres Studiums nahm sie durch Zufall an einer Exkursion der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) teil, bei der sie diesen Vogel zumindest theoretisch kennenlernte. Aber ihre Neugier war geweckt und sie schrieb ihre Masterarbeit über das Braunkehlchen. In dieser Zeit bekam sie dann auch endlich ihr allererstes zu sehen.

So wie Franziska geht es vielen: Das Braunkehlchen ist nicht sehr bekannt in Deutschland und selbst viele Vogelinteressierte haben es noch nie gesehen. Deshalb war Franziska auch ein bisschen überrascht, dass sich das Braunkehlchen bei der Wahl zum Vogel des Jahres 2023 durchsetzen konnte.

Franziska Schmidt bei der Feldarbeit (Foto: Helmut Weller)

Was ist der „Vogel des Jahres“?

In vielen Ländern gibt es Vögel des Jahres, die von Vogel- oder Naturschutzorganisationen ernannt werden. Sie bekommen besondere Aufmerksamkeit und sollen stellvertretend auf ein generelles Problem in der Vogelwelt aufmerksam machen. In Deutschland kürt der NABU und der LBV seit 1971 den offiziellen „Vogel des Jahres“ für Deutschland. In Österreich übernimmt diese Aufgabe seit 2020 BirdLife Österreich und in der Schweiz kürt BirdLife Schweiz seit 2001 den Vogel des Jahres.

In Deutschland darf die Öffentlichkeit seit 2021 mit wechselnden Verfahren mit abstimmen. In dieser Runde durften wir Normalos unter einer Auswahl von fünf Vogelarten abstimmen (darunter u.a. der Feldsperling und das Teichhuhn). Und durchgesetzt hat sich das Braunkehlchen.

Es war 1987 schon einmal Vogel des Jahres in Deutschland.

ein warnendes Braunkehlchen-Weibchen (Foto: LPV Lahn Dill e.V.)

Warum braucht das Braunkehlchen Schutz?

Obwohl Franziska Schmidt ein bisschen überrascht war, freut sie sich natürlich sehr über diesen Titel und die damit verbundene Aufmerksamkeit, denn es geht den Braunkehlchen in Deutschland nicht gut: Ihre Zahl ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen.

Das Braunkehlchen ist ein Langstreckenzieher, der zusätzlich zu den normalen Gefahren des Zugs unterwegs auch durch illegale Abschüsse und Wilderei bedroht ist. Aber vor allem liegt der starke Rückgang daran, dass das Braunkehlchen ein Vogel des Offenlands ist, der in den Wiesen der Agrarlandschaft brütet. Und genau diese Lebensräume zerstören wir immer weiter.

In der intensiven Landwirtschaft ist alles auf maximalen Ertrag ausgerichtet. Wiesen werden so oft wie möglich gemäht und häufig gedüngt. Durch den Einsatz von Pestiziden werden Insekten getötet und damit auch die Nahrungsgrundlage vieler Vogelarten vernichtet.

Die häufigen Schnitte von Wiesen gefährden das Braunkehlchen und andere Bodenbrüter, da sie auch in der Brutsaison vorkommen. Die Nester werden bei der Mahd zerstört und im schlimmsten Fall werden auch die brütenden Weibchen getötet.

Es gibt nur noch wenige Gebiete, wo Braunkehlchen geeignete Bruthabitate finden. Sie stehen daher auf der Roten Liste der gefährdeten Arten und gelten deutschlandweit als stark gefährdet. In Hessen sind sie sogar vom Aussterben bedroht. 70% aller verbliebenen hessischen Braunkehlchen brüten im Lahn-Dill-Kreis, also genau dort, wo Franziska Schmidt arbeitet.

Eine weitere Herausforderung bei ihrem Schutz ist, dass Braunkehlchen gerne dort brüten, wo andere Braunkehlchen sind. Wenn ein Gebiet aufgegeben ist (=es von den Braunkehlchen verlassen wurde), ist es sehr, sehr schwer sie dort wieder anzusiedeln. Es ist also wichtig zu handeln, bevor es zu spät ist!

ein junges Braunkehlchen (Foto: LPV Lahn Dill e.V.)

Wie wird das Braunkehlchen geschützt?

Franziska Schmidts Job ist es, das Braunkehlchen zu schützen und möglichst dafür zu sorgen, dass sich die Bestände im Lahn-Dill-Kreis erholen. Dafür arbeitet sie u.a. mit den Landwirt*innen in dem von ihr betreuten Gebiet zusammen. Braunkehlchenschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Nestschutz

Wenn sie ein Nest entdeckt oder durch Brutaktivität in einer Wiese vermutet, informiert sie die zuständige Behörde oder, wenn bekannt, direkt die Landwirt*innen, denen die Wiese gehört. Im besten Fall nehmen die ab dann Rücksicht auf das Nest und mähen, düngen und striegeln ihre Wiesen während der Brutzeit nicht oder sparen zumindest den Bereich um das Nest bei ihren Arbeiten aus. Aufgrund von Franziskas Erfahrung und der guten Daten, die bereits erhoben wurden, ist es möglich, Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten funktionieren.

Lebensraumaufwertung

Das Braunkehlchen mag offene Landschaften mit vielen Möglichkeiten zum Sitzen, wie zum Beispiel Büsche und Sträucher oder Zaunpfosten. Um die Flächen für Braunkehlchen so attraktiv wie möglich zu machen, werden deren  Lebensräume in Zusammenarbeit mit vielen Akteuren aufgewertet, indem z.B. künstliche Sitzwarten wie Bambusstäbe bereitstellt und Altgrasstreifen ausgebracht und angelegt werden.

Braunkehlchen-Männchen auf einer natürlichen Sitzwarte

Landschaftspflege

Als Offenlandart meiden Braunkehlchen Gebiete mit größeren Gehölzen. Um das Braunkehlchen zu unterstützen, müssen solche großen Gehölze daher auch mal entfernt werden. Das klingt zunächst paradox, aber so werden Lebensräume geschaffen, die zu Braunkehlchen und vielen anderen Arten des Offenlands passen.

Solche Entscheidungen zur Gehölzentfernung macht sich Franziska Schmidt nie leicht und sie wägt das Für und Wider dabei sorgfältig ab. Gibt es überhaupt eine Chance, dass Braunkehlchen das für sie geschaffene Gebiet annehmen? Für Franziska Schmidt ist es wichtig, dass nicht eine Art gegen eine andere schützenswerte Art ausgespielt wird. Sie setzt daher auf Kompromisslösungen und auf ein Mosaik von Lebensräumen, in dem alle Arten ihren Platz finden.

Erfolge

Franziskas Arbeit (und die aller anderen Beteiligten) zeigt Wirkung: Der Abwärtstrend konnte nicht nur stabilisiert werden; auch die Bestände sind gewachsen. Gab es 2016 nur noch 150 Braunkehlchenreviere in ihrem Gebiet, konnten im Jahr 2022 bereits wieder 263 Reviere gezählt werden.

Franziska Schmidt im Projektgebiet (Foto: LPV Lahn Dill e.V.)

Was wir für das Braunkehlchen tun können

Bei ihrer Arbeit kämpft Franziska Schmidt um jedes Nest, um jede Brut, um jedes Braunkehlchen. Aber auch wir alle können ein bisschen was tun, um das Braunkehlchen zu schützen. Das magische Wort heißt RÜCKSICHT und die Regeln für uns Normalos sind ganz leicht zu befolgen:

  • Auf den Wegen bleiben!
  • Hunde anleinen und nicht in Wiesen rennen lassen.
  • Auch mit Pferden nicht durch Wiesen reiten.
  • Lokale Landwirtschaft unterstützen, die beim Braunkehlchenschutz mitmacht.
  • Braunkehlchenschutzprojekte finanziell unterstützen, z.B. mit einer Patenschaft (s.u.)
Braunkehlchen-Weibchen (Foto: Frank Vassen, CC BY 2.0)

Vielen Dank an Franziska Schmidt für das schöne Gespräch und die vielen spannenden Insider-Informationen zum Vogel des Jahre 2023.

Weiterführende Links

Das Patenschaftsprogramm der LPV Lahn Dill

mehr Infos zum Braunkehlchen bei der LPV Lahn Dill

Braunkehlchenschutz bei der HGON

International Whinchat Working Group

aktualisiert:
14. Jun 2023

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