Nichts, aber auch gar nichts hatte ich erwartet. Also, versteht mich nicht falsch: Ich meine damit, dass ich nichts erwartet habe, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde. Ich wusste von der Region rund um Dessau nur, dass es dort flach ist und dass die Elbe da durch die Gegend fließt. Und irgend so eine Mulde.
Und dann hat mich die einzigartige Auenlandschaften der Mittelelbe geflasht! Ich war von der Natur und natürlich besonders von den Vögeln dort nicht nur überrascht, sondern begeistert. Ich habe viele tolle, selten zu sehende Vogelarten entdeckt und bewegte mich dabei eine Woche lang in schönster Umgebung. Diesen Vogelgucken-Geheimtipp gebe ich hiermit gerne und guten Gewissens an euch weiter.
Das Biosphärenreservat Mittelelbe
Die Region um Dessau gehört mit zum Biosphärenreservat Mittelelbe. Dieses ist eingebettet in die Welterberegion Anhalt-Dessau-Wittenberg. Da gibt es viel zu sehen: Schlösser, Parks, Museen und was natürlich am Tollsten ist: jede Menge Natur.
Entlang der beiden Flüsse Elbe und Mulde liegt eine weitgehend naturbelassene Landschaft, die vielen bedrohten Tierarten wichtige Lebensräume bietet. Auch seltene Pflanzenarten sind hier zu finden. Erst 2005 wurde hier sogar noch eine neue Insektenart mit dem schönen, fast romantischen Namen „Silvias Baumsaftschwebfliege“ entdeckt, mitten in Deutschland.
Entlang der Elbe erstreckt sich einer der letzten Auenwaldkomplexe in Europa. Aber auch Heidegebiete und Mischwälder sind hier zu finden. Selbst in Dessaus Innenstadt ist neben sozialistischem Grau und avantgardistischem Bauhaus überall Grün zu finden. Dabei ist das Wasser der Elbe und der Mulde immer in Reichweite. Und in diesem Setting hatte ich eine wunderbare Zeit.
Geheimtipp zum Vogelgucken
Tja, also bei den Vogel-Highlights weiß ich gar nicht genau, wo ich anfangen soll, denn es waren so viele und alle waren gleich toll. Kunststück: In der Region wurden mindestens 315 Vogelarten nachgewiesen, über die Hälfte von ihnen brütet auch dort. Auffällig fand ich, wie entspannt die Vögel waren und wie nah sie mir kamen. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass mir sehr viel mehr Vögel als Menschen begegneten und ich oft das Gefühl hatte, alleine in der Natur zu sein. Ein echtes Urlaubs-Träumchen!
Als erstes fallen mir die Rotmilane und die Schwarzmilane ein, dich mich sehr beeindruckt und täglich begleitet haben. Noch nie habe ich so viele Milane gesehen. Rotmilane kreisten sogar über der Innenstadt von Dessau und auf den Streifzügen durch die Umgebung sah ich jeden Tag mindestens einen Schwarzmilan. Einmal konnte ich sieben auf einmal bewundern, die gemeinsam in der Luft kreisten. Das ist bei Schwarzmilane übrigens keine Seltenheit, denn sie sind sehr gesellig. Allerdings hatte ich so viele auf einmal noch nie in Deutschland gesehen und war darüber hoch erfreut.
Auch die Spechtdichte war erfreulich hoch. Neben den üblichen Verdächtigen Buntspecht und Grünspecht hörte ich auch den Schwarzspecht fast jeden Tag rufen. Einmal kam er mir sogar auf zwei Meter nahe und saß ganz entspannt quasi neben mir am Boden. Auch einem Kleinspecht begegnete ich, den Grauspecht hörte ich rufen und sogar den Wendehals hörte ich nicht nur, sondern sah ihn auch. Nur das Wappentier des Ornithologischen Vereins Dessau, der für diese Gegend so typische und hier angeblich ach-so-häufige Mittelspecht hat sich als einzige Spechtart der Region vor mir versteckt.
Die Mittelelbregion liegt genau an der Grenze von Nebelkrähen und Rabenkrähen in Deutschland. Beide Arten kommen hier vor und ich sah sie immer abwechselnd, was mir großen Spaß machte. Auch eine einzelne Saatkrähe kam bei einer meiner Mittagspausen mal um die Ecke flaniert und checkte mich kurz ab. Sie schlenderte dann wieder davon, ohne mich besonders spannend zu finden. Da ich sie so selten sehe, fand ich die Saatkrähe hingegen super spannend. Und wo eine Saatkrähe ist, können die anderen eigentlich nicht weit sein.
Ich begegnete außerdem wunderbar-vielen Kolkraben, deren Rufe und Himmelsspiele mich täglich erfreuten. Auch Kraniche brüten in dieser Gegend und ich hörte sie nicht nur rufen, sondern sah sie auch mehrmals fliegen. Sogar einen Fischadler konnte ich bei seinen Beuteflügen beobachten.
Ansonsten traf ich noch ein paar alte Bekannte zum ersten Mal in dieser Saison wieder: zum Beispiel einen Flussregenpfeifer, einen Trauerschnäpper, einen Weißstorch sowie eine Klappergrasmücke. Am Abreisetag rief noch mein erster Kuckuck 2022 zu mir herüber. Der Sommer steht also in den Startlöchern, juhu.
Lohnenswerte Vogelgebiete
Falls ich dich jetzt neugierig gemacht haben sollte, auf diese schöne Region, oder falls du gar das Glück haben solltest, dort zu wohnen, hier mal ein paar Gebiete, deren Besuch sich vogeltechnisch auf jeden Fall lohnen sollte. Also so »auf jeden Fall« wie man das bei der Natur versprechen kann … Für die Erkundung eignet sich prima das Fahrrad. Der Elberadweg führt mitten durch diese Naturschönheit hindurch.
Auenpfade
Mehr oder weniger gut ausgeschilderte Auenpfade finden sich im ganzen Biosphärenreservat. Dort wandelt man in landschaftlich super schönen, ganz unterschiedlichen Gebieten und unterwegs gibt es auch immer mal ein paar Infotafeln. Und natürlich jede Menge tolle Vögel! Allerdings ist die Ausschilderung zurzeit etwas hakelig. Die Mitarbeitenden des Nationalparks sind grade mitten in einem Umbauprozess, so dass sich die Ausschilderung bestimmt in Zukunft ändern bzw. wieder verbessern wird.
Oranienbaumer Heide
Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Oranienbaum erstreckt sich eine wunderschöne Heidelandschaft mit lichten Birkenhainen, die von Konikpferden und Heckrindern erhalten wird. Wegen all der scheußlichen Altlasten dort und natürlich auch zum Schutz dieses artenreichen Lebensraums, darf das Gebiet nur auf wenigen festgelegten Wegen erkundet werden. Die fehlende Abkürzung zurück zum Auto wurde mir mit meiner Nach-OP-Kondition am Ende fast zum Verhängnis, aber vorher erfreuten mich u.a. Heidelerchen, Baumpieper und Misteldrosseln. Auch Wiedehopfe und Wölfe leben hier, theoretisch zumindest. Praktisch kann ich das leider nicht bestätigen, aber ich vertraue meinen Quellen.
Gartenreich Dessau-Wörlitz
Die Schlösser, Häuser und Parkanlagen rund um Dessau gehören ebenfalls zum UNESCO-Weltkulturerbe. Als »Dessau-Wörlitzer Gartenreich« genießen sie besonderen Schutzstatus. In den Parks kannst du super Vogelgucken und Kultur bzw. Sightseeing miteinander verbinden. Sowohl die Gärten von Wörlitz, als auch das Luisium und der Garten rund um Großkühnau sind dafür prima geeignet. Aber auch die anderen Parks sind bestimmt super zum entspannten Vogelgucken – es sein denn, man wagt sich am Wochenende dorthin.
Meine besonderen Highlights im Gartenreich waren Mandarinenten, Höckerschwäne, Mäusebussarde, Turmfalken, Buchfinken, Goldammern und der obligatorische Schwarzspecht. An den Rändern von Wörlitz konnte ich u.a. auch Silberreiher, Graureiher und Kiebitze beobachten.
Michelner Teichgebiet
Südlich von Aken liegt ein lohnenswertes Gebiet mit mehreren, unterschiedlich großen Teichen. Am Neolithteich können besonders gut Wasservögel wie Schnatterenten, Löffelenten, Haubentaucher und Graugänse beobachtet werden. Im Winter überwintern hier überhaupt viele Gänse. Etwas ungemütlich ist dabei nur, dass man beim Beobachten quasi auf (na gut: an) der Straße steht, denn das Gebiet rund um den Neolithteich darf nicht betreten werden (was ja eigentlich super und bestimmt ein Grund für die Artenvielfalt hier ist!).
Etwas weiter um die Ecke gibt es noch mehr Wasserflächen. Rund um den Löbitzsee und an mehreren kleineren Teiche drumherum gibt es gute Chancen auf Rohrdommel, Zwergdommel und die Bartmeise. Auch Rohrschwirle und Teichrohrsänger schmetterten dort bereits ihre Liedchen.
Auenlandschaft Aken
Strenggenommen führt hier wohl offiziell auch ein Auenpfad durch, aber die Auenlandschaft bei Aken westlich von Dessau ist so schön, dass sie einen eigenen Tipp verdient. Sie bildet quasi das Herz des Biosphärenreservats. Hier traf ich neben Schwarzmilan, Rotmilan und Mäusebussard auch den Fischadler und den Kleinspecht. Überhaupt eignet sich dieses Gebiet gut zum Vogelgucken: die lichte, offene Auenlandschaft bietet einen guten Einblick in die hier lebende Vogelwelt. Bei strahlendem Himmel mochte ich besonders das Gefühl von Weite hier, das von der fröhlich glucksenden Elbe begleitet wurde.
0 Kommentare