Helgoland ist einer dieser sagenumwobenen, geschichtsträchtigen Orte und bekommt oft den Zusatz „Deutschlands einziger Hochseeinsel“. Dabei besteht „die Insel“ inzwischen eigentlich aus zwei Inseln: die Hauptinsel mit ihrer berühmten roten Steilküste und die vorgelagerte Badeinsel Düne, die im 18. Jahrhundert durch eine verheerende Sturmflut von der Hauptinsel abgetrennt wurde.
So unterschiedlich diese beiden Inselchen sind, so vielfältig ist auch die Vogelwelt Helgolands. Hier wurden bereits 434 Vogelarten nachgewiesen, so viele wie an keinem anderen Ort in Mitteleuropa. Und das ist wirklich erstaunlich, bedenkt man, dass die beiden Inseln zusammen gerade einmal eine Fläche von knapp zwei Quadratkilometer haben. Doch das kleine Inselduo mitten in der Nordsee ist ein wahrer Magnet für Zugvögel. Besondern bei schlechtem Wetter kommen sie dorthin, weil der nächtliche Lichtstrahl des Leuchtturm sie anlockt oder weil die Insel eine willkommene Rastmöglichkeit mitten in den Weiten der Nordsee bietet.
Vogelbeobachtung hat in Helgoland zu jeder Jahreszeit Saison. Der Bestand ändert sich quasi täglich und Überraschungen gibt es das ganze Jahr über. Zu Zugzeiten herrscht aber natürlich Hochbetrieb. Im Herbst gibt es sogar die offiziellen Zugvogeltage, die Vogelgucker*innen aus ganz Deutschland auf die kleine Insel bringen.
Vogelzug
Besonders zu Zugzeiten kann man hier die ungewöhnlichsten Vögel sehen, manchmal sogar Arten aus Nordamerika, die eigentlich nicht hier vorbeikommen, die aber durch Stürme über das Meer getrieben werden oder die aus anderen Gründen weit vom Kurs abgekommen sind. Die meisten dieser Exoten, für die Vogelgucker*innen sich besonders begeistern, sterben aber leider fernab ihrer Heimat einsam und verlassen, unfähig aus eigenen Kraft den Weg zurück zu ihren Artgenossen zu finden.
Die meisten, der auf der Insel rastenden Vögel, folgen jedoch ihrer normalen Flugroute von Skandinavien und dem nordwestlichen Regionen Russlands nach Großbritannien, Südeuropa und Westafrika. Und diese Arten sind natürlich für wahre Vogelgucker*innen nicht minder interessant.
Die unplanbaren Überraschungen und all die Möglichkeiten sind das, was Helgoland so besonders macht. Ich sah bei meinem ersten Besuch um Ostern herum zum Beispiel Wintergoldhähnchen in Hülle und Fülle und ein paar Sommergoldhähnchen gleich mit dazu, genügend Steinschmätzer, um sie sicher identifizieren zu lernen, und eine Steppenweihe. Die von Johanna Romberg in ihrem Buch „Federnlesen“ berichtete Buchfinkenschwemme kann ich hingegen nicht bestätigen. Keinen einzigen habe ich gesehen oder gehört. Stattdessen bin ich dauernd über Rotkehlchen gestolpert.
Brutsaison
Während des Frühjahreszugs kommt noch ein ganz besonderes Highlight zu den ziehenden Besucher*innen hinzu: die Brutsaison. Und auch die ist auf Helgoland etwas ganz Besonderes. An der Steilküste der Hauptinsel, am sogenannten Lummenfelsen, bauen im Frühjahr unzählige Basstölpel ihre Nester. Dazwischen brüten tausende Trottellummen und Dreizehenmöwen sowie einige Tordalke und Eissturmvögel. Das ist dann ein richtiges Spektakel.
Basstölpel sehen mit ihrem vanillegelben Kopf und ihren blau-umrandete Augen sehr ungewöhnlich aus. Sie sind sehr charismatische Vögel und kein bisschen schüchtern. Auf Helgoland brüten sie nah am Weg und lassen sich von den interessiert guckenden Menschen gar nicht stören. Die Weibchen besetzen bei Ankunft gleich mal den besten Brutplatz und die Männchen holen Baumaterial für das Nest herbei. Wenn ein Tölpel angeflogen kommt, gibt es immer ein lautes Hallo – ach, und eigentlich auch sonst ständig. Das klingt dann ungefähr so:
Unter die Basstölpel mischen sich zum Brüten auch die schwarze Trottellummen, die ganz leicht von den weißen Tölpeln zu unterscheiden sind. Nach ihnen ist auch der Lummenfelsen benannt, auf dem sie seit über 200 Jahren alljährlich brüten. Dafür bauen sie jedoch kein Nest, sondern legen ein einzelnes Ei auf dem kahlen, steilen Felsen ab, das sie auf ihren Füßen bebrüten. Wenn die kleinen Küken dann irgendwann groß genug geworden sind, stürzen sie sich mutig bis zu 50 Meter vom Felsen hinab ins Meer. Diese Lummensprünge kann man ab Mitte Juni beobachten. Erst auf dem Meer lernen die kleinen Lummen das Fliegen und kehren später zum Brüten zurück nach Helgoland.
Lummen und Tölpel kann man babyleicht unterscheiden. Schwieriger wird es dann schon, die Dreizehenmöwe zu identifizieren. Da sie aber als einzige Möwenart ebenfalls am Lummenfelsen brütet und nicht zu übersehen ist, bekommen es bereits Anfänger*innen hin, Möwen, Lummen und Tölpel am Fels sicher zu bestimmen.
Profis entdecken in all dem Durcheinander dann auch noch weiß-graue Eissturmvögel (die den Möwen fies ähnlich sehen) und einge wenige schwarzen Tordalke (die sich als Lummen tarnen).
Ich habe es beim ersten Besuch tatsächlich geschafft, Tordalke zwischen all den Lummen zu entdecken und ich war mächtig stolz! Die Entdeckung der Eissturmvögel habe ich mir allerdings für meinen nächsten Urlaub auf der Hochseeinsel aufgehoben.
Tödlicher Zivilsationsmüll
Helgoland scheint ein Naturparadies zu sein; doch auch wenn der helgoländische Tourismus-Service vollmundig behauptet [edit 11-2022] noch im Frühjahr 2021 vollmundig behauptete, hier gäbe es keine Umweltprobleme, so macht die moderne Welt auch vor diesem Flecken Erde nicht halt: Dämliche Tourist*innen lassen ihren Müll am Strand liegen und der Wind weht weithergebrachten Unrat vom Meer an Land.
Besonders tückisch ist auch, dass Basstölpel inzwischen in ihre Nester Reste von Fischernetzen und andere Plastikteile einbauen, die sie im Meer und am Ufer finden. Das kann zur tödlichen Gefahr sowohl für die frisch geschlüpften Jungvögel als auch für die Eltern werden: Sie verfangen sich in den Plastikschnüren und verenden elendig. Ganz aktuell gibt es dazu ein Forschungsprojekt, das bisher wenig Grund zur Hoffnung gibt.
Die Vogelwarte
Helgoland ist überhaupt ein wichtiger Standort für die Vogelforschung. Auf der Insel ist die zweitälteste Vogelwarte der Welt, die erheblich dazu beigetragen hat, dass wir den Vogelzug langsam anfangen zu verstehen. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit wussten wir Menschen quasi nichts darüber. Seit 1910 werden im Fanggarten der Vogelwarte jeden Tag Vögel gefangen, vermessen, beringt und wieder freigelassen. Diese Beringung hat in einer Zeit vor GPS die Vogelforschung erheblich weitergebracht und auch jetzt ist sie noch wichtig, um z.B. den Ernährungszustand und die Verbreitung besonders von Singvogelarten großflächig zu erfassen und zu überwachen.
Die Vogelwarte Helgoland bietet täglich Führungen durch den Fanggarten an, auf denen man viel über die wissenschaftliche Arbeit vor Ort und über Beringung erfahren kann.
Federlose Wesen
Es gibt auf Helgoland natürlich noch mehr zu bestaunen als Vögel (aber sind wir mal ehrlich: Wen interssiert’s? 😉 ). Ein weiteres tolles Highlight, für das man das Vogelgucken gar nicht wirklich unterbrechen muss, sind die Kegelrobben und Seehunde, die an den Stränden der Düne liegen, um sich auszuruhen. Im Winter bringen sie hier sogar ihre Jungen zur Welt.
Fazit
Schon allein die Anreise nach Helgoland ist ein Erlebnis. Und wenn sich zwischen die Möwen, die das Schiff umkreisen, im Frühjahr auch langsam Basstölpel mischen, dann ist das nur der erste Vorgeschmack auf ein grandioses Vogelguckparadies, für das sich jeder Weg lohnt.
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Warst du auch schon auf Helgoland? Welche Vogelarten hast du gesehen? Was waren deine Highlights? Oder möchtest du auch einmal nach Helgoland? Schreib mir eine Nachricht. Ich freue mich auf deine Geschichten.
Liebe Silke!
Ich möchte meinem Mann eine Helgolandreise zum Hochzeitstag schenken und bin bei meiner Recherche nun auf deine Website gestoßen. Wir sind begeisterte Amateur-Birdwatcher:-)
Daher habe ich einige Fragen:
– Kannst du mir einen „besonderen Monat“ empfehlen? April (zu früh, zu spät, genau passend?) … ich weiß, es ist.das ganze Jahr über was los…aber gibt’s was Besonderes?
– Kannst du uns ein für dich besonderes Quartier auf der Insel empfehlen?
Ich würde mich über eine Antwort von dir sehr freuen!
Liebe Grüße aus Österreich,
Kerstin
Hallo, liebe Kerstin,
danke für deine Nachricht. Helgoland ist natürlich IMMER eine Reise wert, aber besonders toll sind die Zugzeiten im Frühling und im Herbst. Also April finde ich gut: Da beginnt das Brutgeschäft am Felsen und zusätzlich ist jeden Tag mit Überraschungen zu rechnen. Allerdings fühlt es sich noch viel kälter an als auf dem Festland und im letzten Jahr hat die Vogelgrippe zur Brutsaison sehr gewütet; darauf sollte man sich vorher mental einstellen. Im Herbst finde ich den Oktober gut. Da gibt es sogar offizielle Vogeltage, da ist die Insel voller Vögel und voller Ornis. In diesem Jahr sind sie vom 12. bis 14. Oktober, aber vorher und nachher sind auch noch Vögel übrig.
Bei Quartierempfehlungen passe ich (ich kenne dort nur FeWos), aber auf der Touri-Seite helgoland.de bekommt man vor der Buchung i.d.R. einen guten Eindruck von den Unterkünften. Denk dir das, was du zu sehen glaubst, aber sicherheitshalber noch einmal halb so klein, damit du nicht enttäuscht bist. Auf der Insel ist nicht viel Platz und jeder Quadratmeter wird optimal genutzt.
Herzliche Grüße zurück gen Süden und sehr viel Spaß, falls ihr fahrt.
Silke