Es gibt Menschen, die lieben das Meer, und es gibt Menschen, die lieben die Berge. Es gibt bestimmt auch Menschen, die beides lieben. So richtig glaubhaft finde ich das nicht. Mögen, okay, aber lieben? Ich hielt mich schon immer für den Meer-Typen. In meinem allerersten Urlaub in Schillig habe ich laufen gelernt und – so wurde mir berichtet – lief ich in Begleitung meines Opas gleich mein erstes Paar Schuhe durch.
Meine Liebe zum Meer hat mich nicht verlassen, aber es dauerte bis zu meiner ersten Reise nach Lappland, bis ich verstand, was ich daran so mag. Es ist nicht das Wasser, wie ich früher dachte. Es sind auch nicht die Wellen oder der Wind. Es ist die Weite. Der Himmel, der nirgends so hoch ist, wie über dem Horizont – außer in Lappland.
Auf Reisen
Ich weiß gar nicht, ob Vögel diese Weite zwangsläufig auch so wahrnehmen und falls, ob sie ihnen überhaupt auffällt. Rotkehlchen, die so nah am Boden leben, Wintergoldhähnchen, die von Busch zu Busch ziehen, Waldschnepfen, die die Deckung des Waldes suchen. Aber dieses Gefühl von Weite assoziieren wir mit Vögeln. Wir unterstellen ihnen gerne, dass sie frei sind. Frei zu fliegen, wohin sie wollen. Ich bin mir da nicht so sicher. Klar, gibt es die Globetrotter, die die Welt erkunden, wie die Rosaflamingos oder die Sichler, die mal auf Stippvisite von Südeuropa aus in Mitteldeutschland vorbeikommen. Ist es Abenteuerlust oder Mangel, der sie forttreibt?
In die Ferne hat es mich auch schon immer gezogen, am besten alleine. Als Kind machte ich Urlaub bei meinen Verwandten in Südhessen, verbrachte als Jugendliche einen Sommer in den Südstaaten der USA, ging auf Interrail-Reise, zog nach Norddeutschland, studierte und arbeitete in Irland, zog nach Süddeutschland und von dort aus zurück in die Mitte Deutschlands, in eine Wohnung im 6. Stock mit Blick über die Stadt bis zum Kahlen Asten. Diese Aussicht hat mich sehr glücklich gemacht, nicht nur bei Sonnenuntergang oder dem Silvesterfeuerwerk.
Und als ich alt genug war, ging ich von dort aus auf Weltreise. Bis ungefähr zwei Monate vor meiner Rückkehr nach Deutschland dachte ich, ich reiste, um unterwegs zu sein, um die Welt zu sehen, um fremde Kulturen kennenzulernen und ein bisschen auch mich selbst. Nachdem ich die Datumsgrenze überschritten hatte und ab da gefühlt auf der Heimreise war, änderte sich das. Ich wusste plötzlich, dass ich reiste, um anzukommen. Bei mir. Und in einem neuen Zuhause.
Haben Vögel eine Heimat?
Ich habe mich schon oft darüber amüsiert, dass wir Menschen auf der Nordhalbkugel sagen, dass die Vögel zu uns zurückkommen, dass sie heimkommen, wenn sie im Frühling in ihre Brutgebiete zurückkehren. Umgekehrt habe ich es aber auch schon von Menschen aus Südafrika gehört, dass sie die Heimkehr (!) der Zugvögel feiern, wenn diese Ende des Jahres nach dem Brutgeschäft nach Afrika zurückkommen. Haben die Vögel einen Sinn für Heimat, für einen Ort, an den sie gehören und zu dem sie zurückkehren?
Von Stadt- bzw. Zuchttauben kennt man diesen Drang, nach Hause zu fliegen. Sie sind sehr heimatverbunden oder zumindest standortgebunden. Der eigentliche Magnet sind für sie aber ihre Familien. Freiwillig würden sie sie nicht verlassen.
Haussperlinge leben in Kolonien, immer an einem Ort. Wird die Kolonie zerstört, zieht die Gruppe aber nicht einfach um und sucht sich einen neuen Ort zum Leben, sondern die Gruppe löst sich auf. Möglicherweise sterben die einzelnen Individuen dann.
Ganz anders Mauersegler. Jeder von ihnen entscheidet individuell, wo er die Zeit nach der Brutsaison verbringt und wohin er fliegt. Wenn Mauersegler geschlechtsreif sind, zieht es sie aber in die Kolonie zurück, in der sie geboren wurden. Sie finden aber auch Anschluss an andere Kolonien. [Mehr über das faszinierende Leben von Mauerseglern erfährst du in diesem Artikel.]
Auch Rauchschwalben und Weißstörche kehren zu den Nestern zurück, in denen sie im vorherigen Jahr gebrütet haben. Sie kennen die Umgebung, die Nahrungsquellen, die Nachbarn. Das sind wichtige Brutvorteile. Aber ist es dadurch auch Heimat?
Die Heimat in mir
Seit meiner Rückkehr nach Deutschland bin ich zweimal umgezogen, einmal davon quer durch die Republik ans Meer. Hier habe ich wieder ein Zuhause mit Weite. Von meinem Arbeitszimmer kann ich übers Watt schauen. Über mir spannt sich der Himmel in die Unendlichkeit. Das lässt mich wieder aufatmen und zur Ruhe kommen.
Auch in mir ist es in den letzten Jahren weit geworden. Seit ich mein Leben selbstbestimmt lebe, quäle ich mich morgens nicht mehr aus dem Bett, weil ich die Regeln bestimme. Ich suche mir die Menschen selbst aus, mit denen ich meine Zeit verbringen möchte.
Ich bin einmal um die ganze Welt gereist und bis ans Meer gezogen, um zu verstehen: Die Weite in mir kann ich mitnehmen, egal wo ich wohne.
Bei der 41. Blognacht von Anna Koschinski zum Thema „inspirierend“ war ich inspiriert, diesen Beitrag zur Blogparade „Wo ich mich zu Hause fühle“ von Edith Leistner zu schreiben.
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