Der Zaunkönig: stimmgewaltiger Winzling

Ähm, also eigentlich wollte ich nicht schon wieder einen Singvogel vorstellen, sondern vielleicht mal was Schmissigeres, Größeres. Und wenn einen Singvogel, dann höchstens einen Sommervogel. Bei mir fühlt der Frühling sich nämlich noch sehr fern an. Aber dieser kleine Vogel hat sich mir einfach aufgedrängt und sind wir mal ehrlich: das passt auch zu ihm. Und deshalb geht es heute um den Zaunkönig, Troglodytes troglodytes.

Er gehört zu den kleinen kompakten, eher runden Vögeln. Er ist insgesamt ziemlich braun, seine Oberseite ist rotbraun und er hat einen hellen Überaugenstreif. Seine Flügel sind kurz, genauso wie sein Schwanz, den er ganz schick aufstellen kann. Er lebt gut versteckt in Bodennähe in Büschen, Hecken und im Dickicht von Wäldern, Gärten und Parks. Am liebsten futtert er Insekten und Spinnen, im Winter nimmt er alles kleine Tierische, was er finden kann, also auch mal Insekteneier. Er ist in ganz Europa und auch in Nordafrika zu Hause. Außerdem wohnt er in Vorder-, Zentral- und Ostasien.

Er ist unser drittkleinster Vogel in Mitteleuropa (aber diese Minis geben sich alle nicht viel). Er ist 10 cm klein und wiegt grade mal 9 bis 10,5 g, also so viel wie drei Stück Würfelzucker oder wie eine kleine Maus. Da er am Boden lebt und genauso braun-grau-unscheinbar ist, wird er auch leicht mit einer Maus verwechselt. Er ist auch genauso wuselig.

Der Zaunkönig begleitet mich schon sehr lange, ich hatte nämlich mal ein Kinderbuch, in dem er der Star war. Ich weiß nicht mehr ganz genau worum es ging, ums Singen vermutlich, aber ich erinnere mich genau, dass ich mir an einer Buchseite den Finger aufgeratscht habe. Zum allerersten aber nicht zum letzten Mal in meiner langen Karriere als Leserin. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schmerzhaft so ein kleiner Schnitt ist.

Gesang

Und theoretisch müsste uns auch der Gesang des Zaunkönigs Schmerzen verursachen, denn er singt so um die 90 Dezibel laut, gemessen in einer Entfernung von einem Meter. Das ist so laut wie ein vorbeidonnernder LKW. Und er ist noch in 500 Metern Entfernung zu hören. Auch wenn der Zaunkönig natürlich viel schöner klingt als so ein LKW, können einem da schon mal die Ohren klingeln.

Dem Zaunkönig klingeln sie beim Singen aber nicht. Denn der hat einen Trick, eigentlich sogar zwei: Er kann bei lauten Geräuschen mit Hautlappen die Ohren verschließen und wenn er singt, verringert sich die Spannung in seinem Trommelfell. Er hört also schlechter, wenn er singt. Dieses Phänomen gibt es bei allen Vögeln.

Jeder Zaunkönig hat übrigens eine eigene Variante seines Artgesangs. Die Gesänge von Nachbarn sind sich aber ähnlich und auf diese Gesänge reagieren die Zaunkönige auch am vehementesten. Es entsteht dadurch aber auch so etwas wie Dialekte. Wir erkennen sie daran, dass sie sehr klar und natürlich laut sind, besonders zur Brutzeit.

Der Zaunkönig ist aber nicht nur berühmt für seinen lauten, sondern auch für seinen schnellen Gesang. Er singt bis zu 36 Töne pro Sekunde. Wir können dieses Gesangswunder allerdings gar nicht wahrnehmen, denn Das ist viel zu schnell für unsere Ohren und auch für unser Gehirn. Wir können diese schnellen Töne nicht einzeln hören, für uns verschwimmen sie zu einem Ton.

Die vielen Namen des Zaunkönigs

Ihn zu überhören ist also schwer. Kein Wunder, dass er auch in den menschlichen Kulturen in deren Umkreis er vorkommt, sehr präsent ist. Das merkt man auch an seinen vielen Namen:

Zaunsänger, Tannkönig, Mäusekönig, Meisenkönig, Schupkönig, Zaunschnerz, Backöfelchen, Däumling, Schlüpferlein und Zaunschlüpfer. All das spielt natürlich auf seine winzigkeit und seine Wieseligkeit an. Auch außerhalb von Deutschland hat er tolle Namen. Im Norwegischen heißt er gjerdesmett und im Schwedischen gärdsmyg. Das spielt auch auf seine heimliche Lebensweise an.

In der Schweiz ist er auch als Haagschlüferli, Müserli, Studeritschger, Schiterchingeli oder Haghäxli bekannt. In Österreich wird er auch Zitzerl (also kleines Stückchen) oder Zwergvogerl genannt. Er trägt auch den Namen Pfutschepfeil. Dazu gibt es auch das Sprichwort: „schnell wie ein Pfitschipfeil“. Das sagt man, wenn jemand schnell von A nach B rast.

Auch im Hochdeutschen ist der Zaunkönig in einem Sprichwort verewigt, dass wir alle kennen: „sich freuen wie ein Schneekönig“. Schneekönig war neben Zaunkönig und Zaunschlüpfer lange sein anderer offizieller Name.

Auch im Niederländischen heißt er heute noch winterkoning, also Winterkönig. Das spielt darauf an, dass Zaunkönige das ganze Jahr über singen. Wir können sie also auch im finstersten Winter bei Eis und Schnee hören. Wenn wir uns also freuen wie ein Schneekönig, könnten wir wohl vor Freude so laut singen wie ein Zaunkönig im Winter.

Sozialleben & Brutzeit

Das mit dem lauten Singen gilt für die Weibchen und die Männchen. Sie sind Einzelgänger und verteidigen daher das ganze Jahr über ein Revier: im Winter ihr Nahrungsterritorium, im Sommer ihr Brutrevier. Beim Männchen ist das häufig dasselbe. Die Weibchen kommen für die Fortpflanzung im Frühjahr dann zu den Männchen in ihre Brutreviere.

Die Männchen haben hier schon ein paar Nester-Rohbauten zur Auswahl für sie vorbereitet. Bis zu 10 bauen sie davon pro Saison. Und das ist ganz schön aufwändig, denn die Nester sind besonders: Es sind sogenannte Backofennester, also Kugelnester mit einer Eingangsröhre. Sie sind ziemlich stabil, haben eine Wandstärke von 3 cm und einen Durchmesser von 15cm. Für den Innenausbau mit Moos, Flechten und Federn ist die Zaunkönigin zuständig. Diese schicken Nester sind übrigens in Bodennähe, logisch, denn da lebt der Zaunkönig ja.

Aber selbst wenn wir mal so ein tolles Zaunkönignest entdecken sollten, halten wir uns bitte davon fern. Anders als bei anderen Vogelarten werden sie nämlich auch manchmal außerhalb der Brutzeit genutzt (s.u.).

Bitte halte dich grundsätzlich von Nestern fern, weil du die Vögel sonst stresst und störst, das Überleben der Brut gefährdst und durch dein Interesse potenzielle Feinde auf das Nest aufmerksam machen kannst.

Wer sich auch fern hält, ist das Zaunkönig Männchen, zumindest nachdem er eine Partnerin für sich gewonnen hat. Die männlichen Zaunkönige sind auch bei der Brut nicht sehr sozial und weit entfernt davon, treusorgende Partner und Väter zu werden. Sie unterstützen die Weibchen nicht während der Brutzeit, helfen nicht bei der Aufzucht der Jungen, sondern organisieren sich stattdessen bis zu vier Weibchen parallel. Die Weibchen haben ausnahmsweise keinen Konkurrenzdruck und ertragen sich gegenseitig in der Nähe. Männchen hingegen dulden keine anderen Männchen im Revier. Und von den Weibchen und ihrem Nachwuchs halten sie sich auch weitestgehend fern. Nur das letzte Weibchen hat am ehesten die Chance auf etwas Hilfe.

Wer allerdings in der Nähe bleibt, sind männliche Konkurrenten. Die halten sich bereit, das Revier zu übernehmen, falls der Revierinhaber ausfällt. Das kommt gar nicht so selten vor, denn freilaufende Hauskatzen sind einen große Gefahr für Zaunkönige. Und von denen gibt es ja leider reichlich.

Zaunkönigweibchen legen 5 bis 7 Eier und kümmern sich allein ums Brutgeschäft. Das ist ganz schön anstrengend, denn die Minis haben Hunger und das immer mehr, je länger sie gefüttert werden. Am Ende, also kurz bevor sie flügge werden und sich endlich alleine durchbringen, fliegt die Mutter bis zu 25 Mal in der Stunde das Nest mit Futter an. In so einen Zaunkönigkükenschnabel passen nämlich trotz seiner Winzigkeit erstaunliche Mengen und die Mutter stopft da alle Insekten, Spinnen, Raupen, Larven rein, die sie finden kann.

Aber irgendwann ist auch das geschafft, der Nachwuchs flügge und das Weibchen kann endlich wieder in ihrem eigenen Revier die Ruhe genießen. Wenn sie nicht gerade singt, um es abzugrenzen und für sich zu beanspruchen natürlich.

Schneekönige im Winter

Zaunkönige sind das ganze Jahr über bei uns. Viele von ihnen sind echte Standvögel, manche sind Teilzieher, die sich verdrücken, wenn es zu ungemütlich wird. In besonders kalten Wintern gibt es aber trotzdem große Verluste und der Bestand bricht regelrecht ein. Davon erholt sich die Population aber in der Regel schnell, so dass der Zaunkönig nicht als gefährdet gilt. Wenn es so richtig usselig kalt ist, vergisst der Zaunkönig auch mal, dass er andere Zaunkönige nicht leiden kann und bildet mit ihnen Schlafgemeinschaften. Dabei kuscheln sie sich mit bis zu 25 Individuen in einem Nistkasten, einem alten Nest oder einer geschützten Ecke in einem Kreis zusammen. Ihr Schnäbel zeigen dabei alle in die Mitte, Hintern nach außen. Eine süße Vorstellung – wenn wir mal kurz vergessen, dass es dabei um Leben oder Tod geht.

Epilog

Neben dieser wahren Geschichte gibt es auch ganz tolle Märchen, Fabeln und Geschichten mit dem Zaunkönig. Auch bei Shakespeare taucht er mehrfach wieder auf. Als Märchengestalt verteidigt der kleine Winzling seinen Königstitel stets mit viel Hirn und gilt als kleiner Schlaukeks. Ich habe bei den Recherchen eine ganz schöne Geschichte entdeckt, die ich noch gar nicht kannte. Ich erzähle sie euch aber mal wann anders. Vielleicht sogar erst im nächsten Audio-Adventskalender für Vogelfans? Wenn du den nicht verpassen willst, hol dir meinen Newsletter.

Und wenn du all die wunderbaren akustischen Highlights dieses Frühlings nicht verpassen, sondern Vögel an ihrer Stimme erkennen willst, komm zum Vogelstimmen Bootcamp. Da machen wir dich fit für das große Frühlingskonzert der Vögel und verändern deinen Frühling! Jetzt im April gibt es noch einmal einen Live-Workshop zu Sommervögeln. Falls du den verpasst, gibt es den hinterher auch als Selbstlernkurs. Und falls du darauf nicht warten willst, kannst du sofort mit dem Vogelstimmen Bootcamp: Standvögel durchstarten, ganz entspannt in deinem eigenen Tempo.

Ich wünsch dir einen fabelhaften, gesangsstarken Frühling. Und nicht vergessen: Lass mehr Vögel in dein Leben!

Vielen Dank an Alexandra, Johanna, Luzia und Melanie, die mir für diese Folge ihre Stimmen (und ihre Zeit!) geschenkt haben! ♥️♥️♥️♥️

von | 7. Apr 2023 | Podcast, Vogelwissen

aktualisiert:
14. Jun 2023

Silke Hartmann, die Vogelguckerin

Schon als Kind interessierte sich Silke Hartmann für Vögel, aber kannte lange niemanden, der diese Begeisterung teilte. Um Gleichgesinnte zu finden, ging sie ins Internet und merkte schnell, dass es vielen Menschen so geht wie ihr früher. Deshalb gibt sie jetzt ihr Vogelwissen und ihre Begeisterung in Onlinekursen, ihrem Podcast „Vögel, aber cool!“, ihrem Blog und auf Instagram weiter. Ihr erstes Buch „Die Superkräfte der Vögel“ ist als „Wissensbuch des Jahres 2024“ nominiert.

Moin, ich bin Silke,

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2 Kommentare

  1. Hallo Silke,
    ich habe mit Interesse deinen Bericht gelesen. Bis jetzt war mein Wissen über den Zaunkönig nur oberflächlich. Jetzt hat meine Freundin ein Nest…unter der Abedeckung der Satelliten-Schüssel ! Sie schickt mir regelmäßig Fotos…ich bin entzückt. Fragte mich aber, warum nur das Weibchen füttert.
    Meistens sind doch beide Elternteile am Füttern…. oder gibt es noch andere Vögel bei denen das vorkommt ?? Ich habe nur eine Amsel-Nest unterm Dach – ansonsten bin ich Eichhörnchen-Beobachterin – 3 Kogel in den Bäumen rings ums Haus.
    Für heute, beste Grüße
    Sigrid

    Antworten
    • Moin Sigrid,
      bei Vögeln gibt es sehr unterschiedliche Familienmodelle: mal kümmern sich beide, mal die Weibchen, mal die Männchen oder (wie bei den Kuckucken) auch keiner von beiden. Manchmal springen auch andere Familienmitglieder mit ein und unterstützen.
      Bei den Zaunkönigen ist es so, wie oben beschrieben, dass das Männchen mit Revierverteidigung und Fortpflanzung beschäftigt ist, während sich die Weibchen schon mal um den Nachwuchs kümmern. Da sie nicht sehr sozial sind und beide Geschlechter den Rest des Jahres ein Revier verteidigen, passt das ganz gut ins Bild.
      Sonnige Grüße zurück
      Silke

      Antworten

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