Ausflug ins Wattenmeer

Heute reisen wir zusammen an die Vogelküste. Um präziser zu sein: an die Nordseeküste, ans Wattenmeer. Denn dort war ich in den letzten Wochen – zum Arbeiten, zum Erholen und natürlich zum Vogelgucken. Von dort habe ich dir auch ein Geschenk mitgebracht, davon erzähle ich dir ganz am Ende dieses Beitrags 😉 .

Kleiner Hinweis bevor wir loslegen: Diesen Beitrag gibt es auch zum Anhören:

Diese Vögel sind zu hören:
02:31 Austernfischer
04:38 Großer Brachvogel
05:46 Großer Brachvogel
07:51 Eiderente
09:05 Lachmöwe
11:04 Lachmöwe

Also, los geht’s:

Als ich am ersten Morgen auf dem Deich stand, fiel mir wieder auf, wie anders die Geräuschkulisse direkt an der Küste ist. Nicht nur, dass Autos und Menschen fehlen, wenn man auf einer einsamen Insel oder zumindest an einem einsamen Strand ist, auch die Vogelstimmen sind ganz andere.

Klar, die Vogelarten sind ja auch ganz andere als zu Hause. Zuhause ist bei mir im Binnenland, in Mitteldeutschland. Da ist mein Fokus eher auf den Singvögeln und Tauben, die mich im Alltag begleiten. Und die habe ich während meiner Zeit am Meer ganz selten gesehen und noch seltener gehört. Das lag natürlich mit am Wind. Davon hatte ich nämlich jede Menge bei meinem Besuch. Und dann machen sich die kleinen Singvögel rar und verkriechen sich im Gebüsch und vor lauter Wind wären sie dann auch gar nicht zu hören, selbst wenn sie etwas sagen bzw. piepen würden.

Stattdessen treiben sich dort Watvögel rum. Und zwar in Massen. Was das Wattenmeer nämlich vor allem ist, ist Fülle. Nicht zwangsläufig Fülle an Vogelarten, aber an Individuen einer Art. Überall wuselt und wimmelt es. Und das ist kein Wunder oder bloße Urlaubseinbildung: Unser Wattenmeer ist eines der vogelreichsten Gebiete der Erde. Und in Europa auf Platz 1. Millionen von Vögeln treiben sich in jedem Jahr dort rum, um zu brüten, zu rasten, sich zu mausern und um sich ganz nebenbei vollzufuttern. Aber dazu gleich noch mal mehr. Jetzt erstmal zurück auf den Deich.

Austernfischer

Was mir auch gleich am ersten Tag wieder auffiel, ist, wie praktisch es ist, die Normalos gut zu kennen. Also die Vögel, die dir im Alltag so vertraut sind, dass sie fast langweilig erscheinen. In meinem Fall waren das Graugänse. Gibt es bei uns am städtischen Baggersee zu hunderten. An der Küste half es mir jetzt ungemein, dass sie mir so vertraut sind. Dort oben gab es nämlich nicht nur Graugänse, sondern auch Ringelgänse, Weißwangengänse, Nilgänse, Blessgänse, Brandgänse … Gut, Brandgänse fallen da ein bisschen raus, aber die anderen fliegen auch mal zuhauf gemeinsam durch die Gegend. Und aus den Augenwinkeln sehen die einfach aus wie Trupps großer Vögel. Da ich aber ganz genau weiß, wie Graugänse klingen und im Flug aussehen, konnte ich zumindest die sofort aus den Augenwinkeln oder nur mit den Ohren zuordnen. Blieben also nur noch 2, 3 andere Arten zur Auswahl. Und an deren Sound und Gestalt erinnerte ich mich schnell wieder. Den Anfang hat mein Grauganswissen ernorm erleichtert und bereichert. Also mein Appell: Unterschätz die Magie der Normalos nicht.

Große Brachvögel

Neben all diesen Gänsen waren noch viele andere tolle Vögel dort, die ich viel zu selten sehe: Austernfischer, Eiderenten, Rotschenkel, Pfeifenten, Silbermöwen …

Es gab auch super viele Kiebitze und tausende Große Brachvögel. Kiebitze sehen mit ihrer Punkerfrisur und der aufrechten Haltung immer so lustig aus. Ihr Gefieder glänzt schick grün und lila metallisch. Und dann die Großen Brachvögel, hach. Sie sind die größten Watvögel, die wir hier haben, sie sind hübsch braun gesprenkelt, haben einen langen nach unten gebogenen Schnabel UND sie klingen schön.

Großer Brachvogel

Die Kiebitz- und vor allem Brachvogel-Massen lassen dann fast vergessen, wie schlecht es diesen Arten geht. Beide sind durch unsere moderne ausbeuterische Form der Landwirtschaft stark gefährdet und Große Brachvögel sind inzwischen sogar vom Aussterben bedroht. Das wirkte neulich an der Küste wirklich nicht so. Aber wenn ich mir in Erinnerung rufe, dass die Großen Brachvögel, die ich gesehen habe, locker die Hälfte des deutschen Brutbestand waren, sieht es nicht mehr ganz so idyllisch aus.

Auch bei anderen erlebe ich häufig, dass sie von lokalen Gegebenheiten bzw. dem lokalen Vorkommen auf den Gesamtbestand schließen. Das ist fatal! Nur weil grade viele Turteltauben über Gibraltar ziehen, viele Rotmilane über Nordhessen kreisen oder viele Rebhühner rund um das Projektgebiet südlich von Göttingen zu sehen sind, nur weil also an einem Ort genug einer Art zu sein scheinen, heißt das nicht, dass das überall so ist. Hier dürfen wir gerne der Wissenschaft und den offiziellen Zahlen vertrauen. Und uns sorgen!

Brandgänse, Stockenten, Pfeifenten, Silbermöwen, Heringsmöwe, Austernfischer …

Diese Fülle im Wattenmeer ist natürlich kein Zufall. Das Wattenmeer ist ein Schlaraffenland für Vögel. Es wird dort so viel Nahrung produziert, wie fast nirgends sonst auf der Welt. Und am Ende dieser Nahrungskette stehen u.a. die Vögel: Schnecken, Würmer, Krebse, Muscheln, Fische, Gräser und andere Pflanzen gibt es im Wattenmeer zuhauf. Und dieses Futter wird auch dringend gebraucht: Für viele Vogelarten, die in den Tundren der Arktis brüten, ist das Wattenmeer der einzige Rastplatz auf ihrem Weg nach Afrika.

10–12 Mio Vögel ziehen in jedem Jahr durchs Wattenmeer. Dazwischen tummeln sich noch die Millionen Brutvögel, die immer dort rumhängen. Und sie alle finden genug zu fressen. NOCH, sollte ich sagen, der Klimawandel lässt grüßen und bedroht auch diesen unersetzlichen Lebensraum. Aber noch tanken die Zugvögel dort auf ihrer langen Reise so richtig auf. Mehr als 400 Vogelarten werden im Wattenmeer regelmäßig gesehen.

Steinwälzer

Eine davon ist die Eiderente. Eiderenten sind eigentlich das ganze Jahr über an der Nordseeküste zu sehen, aber ab Sommer werden es noch ein paar Tausend mehr. Dann kommen nämlich die Ostseeeiderenten dazu, um sich im Wattenmeer der Nordsee zu mausern und viele von ihnen bleiben den Winter über dort. Mit ihrem langezogenen, fast dreieckigen Schnabel, der direkt in die Stirn übergeht, wirken sie für mich besonders elegant und irgendwie classy. Das mag auch daran liegen, dass sie mir zum ersten Mal vor der Küste Irlands aufgefallen sind. Erst viel später habe ich sie auch in Deutschland entdeckt und war dann ganz überrascht, dass es so etwas Schönes auch bei uns gibt. Jetzt sind sie meine treuen und sehr geliebten Nordseebegleiterinnen. Früher war ich wohl zu sehr mit Sandburgenbauen und Muschelsammeln beschäftigt.

Überhaupt wird das Wattenmeer häufig unterschätzt, nicht nur von mir damals. Es kommt uns so normal vor. Nordsee halt. ABER das Wattenmeer ist ein einmaliger, ultra wichtiger Lebensraum! Und falls du mich mal fragen solltest, auch viel cooler als die Ostsee (aber das fragt mich ja glücklicherweise niemand). Weil das Wattenmeer so cool ist, ist trägt es auch den Titel „Unesco Weltnaturerbe“. Unser Wattenmeer befindet isch also in einer Liga mit der Serengeti, dem Great Barrier Reef, dem Yellowstone und dem Okavango Delta. Diese mehr oder weniger exotischen Orte kennen wir aus Naturdokus und die finden wir natürlich ganz easy cool. Aber das Wattenmeer ist genauso cool. Wenn wir genauer drüber nachdenken, sogar noch viel cooler. Das wirkt nur viel zu oft nicht so, weil es ja bei uns ist. Und weil wir nicht oft genug drüber reden. Also: Das Gute und Großartige liegt so nah, aber jenseits aller Pommes-mit-Sand-Erinnerungen.

Austernfischer

Es waren auch Erinnerungen, die vor dieser Reise Erwartungen bei mir geweckt hatten. Im letzten Jahr war ich nämlich auch zur gleichen Zeit in der Gegend und hatte Ohrenlerchen ganz entspannt und nah gesehen. Das erhoffte ich mir von diesem Küstenaufenthalt natürlich insgeheim auch wieder. Und noch ein paar Schneeammern dazu. Doch die ließen auf sich warten. Stattdessen tauchte ein Seidenreiher in der Gegend auf, den alle möglichen Ornis erspähten und mir begeistert davon erzählten. Ja, voll toll für die, juhu. Ist ja auch eine kleine Sensation, wenn sich dieser eigentlich in Südeuropa brütende Reiher mal hier sehen lässt. Passiert immer mal wieder, aber dort oben freuten sich alle ein Loch in den Bauch. Also alle außer mir natürlich. Denn ich bekam ihn tagelang nicht zu Gesicht.

Stattdessen segelten mehrmals Zwergschwäne auf dem Zug ganz dicht über mich hinweg. Und eine weibliche Kornweihe schaukelte jeden Tag durch die Luft. Für mich sind das auch kleine Sensationen. Genau wie die mini Trottellumme, die eines Morgens mutterseelenallein in den Nordseewellen trieb. Das waren großartige Überraschungen. Eigentlich sage ich ja auch immer: „die Vögel, die da sind, sind die Besten“ und ich lasse mich gerne jeden Tag aufs Neue überraschen. Aber dieser Seidenreiher hat mir zwischendurch ein bisschen die Laune verdorben. Bzw. ich habe mir selbst die Laune verdorben, weil ich enttäuscht war, dass ich ihn nicht sah. Tagelang nicht. Obwohl ich genau an den Orten war, wo er später am Tag auftauchte. Bis ich mich selbst bei dieser schlechten Laune erwischte! Und mich ein bisschen auslachte. Hatte mich etwa kurzzeitig das Jagd- und Sammelfieber gepackt?

Wattkrähen (nee, Spaß, natürlich Rabenkrähen)

Ab da ging es besser mit mir und den Erwartungen und auch mit mir und der Erholung. Ich glaube, ich brauchte diesmal einfach besonders lange, um gedanklich am Meer anzukommen, mich auf die Geschenke einzulassen, die jeder neue Tag für mich bereithielt. Die Vögel halfen mir sehr dabei. Und als ich endlich aufgegeben hatte, nach dem ollen Seidenreiher Ausschau zu halten und mich über die Vögel zu freuen, die da waren und ich im Hier und Jetzt und nicht in hätte-wäre-könnte war, zeigte er sich mir plötzlich doch. Und das gleich zweimal an einem Tag. Ich sag’s ja: Die Vögel kommen zu uns, wenn wir bereit für sie sind.

Die Vögel an der Küste leben mit den Gezeiten. Ebbe und Flut bestimmen ihre Tage. Und so war das auch bei mir. Ich verbrachte fast jede Minute zwischen Sonnenauf- und untergang draußen und tauchte auch mit ab in den Sog der Gezeiten. Ich wusste immer, ob das Wasser grade kam oder ging und fühlte mich in diesem Rhythmus der Natur verankert.

die Trauerente (m)

An zwei Tagen hatten wir so viel Wind, dass das Wasser schon zwei Stunden vor Hochwasser über die Hafermauer schwappte. Da waren dann auch keine Trauerente mehr im Hafenbecken zu sehen. Die schwamm ausnahmsweise weiter draußen. Die Trauerente war nämlich diesmal eine meiner treuen Begleiterinnen und begrüßte mich bei jedem Besuch am Hafen. Und sie verabschiedete mich auch, als es Zeit war, in meinen Alltag zurückzukehren.

Die frische Nordseebrise hat mir den Kopf freigepustet und war auch gut für neue Ideen. Und so bringe ich dir quasi ein Geschenk von der Küste mit: einen Audio Adventskalender für dich. Der ist natürlich randvoll gepackt mit spannenden Vogelthemen. 24 Tage lang verbreite ich vogelige Adventsstimmung und erzähle dir hinter jedem Türchen kurze Geschichten, coole Fakten, witzige Anekdoten zu Weihnachtsvögeln. Und ein bisschen Musik, Glöckchenklingeln und Sternenglitzer gibt’s noch obendrauf, aber natürlich nicht zu viel. Der Audio Adventskalender kostet dich null Euro. Wenn du also Lust hast, dich von mir und den Vögeln durch den Advent begleiten zu lassen, dann melde dich gerne einfach an. Alle weiteren Infos findest du hier ←. Ich freue mich sehr, wenn du und ich zusammen durch den Advent gehen.

von | 18. Nov 2022 | Expeditionen, Podcast

aktualisiert:
25. Mrz 2024

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Moin, ich bin Silke,

wie schön, dass du da bist! Hier berichte ich dir Wunderbares und Wundersames über Vögel und ihre Welt. Außerdem erfährst du, wie du anfängst, sie schnell selbst zu sehen und immer besser darin wirst. Komm mit auf die Reise!

Mein neues KOSMOS-Buch: „Die Superkräfte der Vögel“

MDR-Doku: „Das Geheimnis der Vögel“

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2 Kommentare

  1. Hallo liebe Silke.
    Das Wattenmeer ist definitiv cool. So cool dass ich hier hingezogen bin 🙂
    Heute habe ich dich durch Verena von wiederwilderwerden kennen gelernt. Für mich ist naturejournaling und so alles noch neu. Aber ich war total begeistern von dir und einem „vogelgucken“ 🙂 und jetzt bin ich sehr froh dass Dezember ist, wenig Vögel unterwegs sind und ich an der Nordsee wohne. Perfekt zum Starten!
    Also nochmal: DANKE 🙂

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    • Oooooh, Chrissi! Das ist ja wundervoll! Vielen Dank für deine Nachricht. Wir wären vor einigen Monaten auch fast an die Nordsee gezogen. Wer weiß, vielleicht werden wir ja im nächsten Jahr Nachbarinnen 😉 Ich freue mich aber auf jeden Fall, dass du jetzt schon virtuell an Bord bist. Herzlich willkommen und viele Grüße gen Meer.

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