Nö, muss nicht sein: der Krähen-Kinofilm

In dieser Woche war ich eingeladen, vorab die Doku „Krähen. Die Natur beobachtet uns“ von Regisseur Martin Schilt anzuschauen, die demnächst in die Kinos kommen wird. Ich hatte die Plakate schon gesehen und war sehr gespannt. Und außerdem: wie cool, ein Krähenfilm! Juhu! Über Rabenvögel gibt es ja so viel Tolles, Faszinierendes zu erzählen und ich hatte mich schon drauf gefreut, euch diesen Film zu empfehlen. Das kann ich aber nicht und ich erzähle hier ausnahmsweise kurz, warum.

Dass ich das tue, ist ungewöhnlich. Ich bekomme inzwischen oft Rezensions- und Preview-Angebote. Das ist cool, aber ich bin da auch eisern: Eigentlich erzähle ich euch nur von Filmen, Büchern, Spielen, die mich überzeugen und begeistern. Ich weiß selbst, wie viel Arbeit in so einem Film, einem Buch, einem Spiel steckt. Die Welt wird nicht besser davon, wenn ich meine persönliche Meinung teile, um ein Werk schlecht zu reden. Nur, weil es für mich nicht passt, heißt das nicht, dass etwas grundsätzlich für immer und alle mies ist. Und ich habe auch Besseres zu tun, als Dingen, die ich nicht mag, meine Zeit zu widmen. Wenn ich nichts Nettes zu sagen habe, halte ich mich zurück.

Diesmal ist das anders. Bereits jetzt sprechen mich viele von euch auf den Film an, empfehlen ihn mir, fragen nach meiner Meinung und ich weiß aus Erfahrung, dass da noch mehr kommt. Damit ich mich nicht ständig neu erklären muss, hier ein paar meiner Gedanken zu „Krähen. Die Natur beobachtet uns“:

Der Elefant im Raum

First things first! In dieser 90-Minuten-Doku gibt es genau drei Frauen, die etwas sagen dürfen: die Voice-Over-Erzählerin Elke Heidenreich und zwei namenlose Wissenschaftlerinner, deren einzige Aufgabe es ist, 10 Sekunden lang einen männlichen Kollegen für seinen Erfolg zu feiern. Awesome!

Wenn das in einer Doku im Jahr 2023 passiert, ist das Absicht. Oder sagen wir wohlwollender: Unreflektiertheit. Check your privileges, bro!

Aus eigener Recherche-Erfahrung weiß ich, dass es wirklich nicht schwer ist, nicht-männlich gelesene Forschende zu finden, die sich wissenschaftlich mit Rabenvögeln beschäftigen und klug, spannend, verständlich von ihrer Arbeit berichten können – zumal für den Film ja auch weltweit gedreht wurde. Mann muss es aber offenbar immer noch wollen. Und das wollte Martin Schilt ganz offensichtlich nicht. Kann Mann machen, finde ich dann halt Mist und komplett aus der Zeit gefallen. Erstaunlich, dass solche Filme heutzutage trotzdem noch gefördert werden.

Die Themenauswahl

Aus der Zeit gefallen geht es weiter: Der Film fokussiert auf eine Eigenschaft von Rabenvögeln: ihre Klugheit. Die Beispiele, die dafür aufgezeigt werden, sind lange bekannt:

  • sie bauen Nester aus Kleiderbügeln
  • sie nutzen Werkzeuge
  • sie geben Informationen an ihre Buddys und Nachkommen weiter

All diese Beispiele werden kurz aufgezählt und angerissen. Kein Thema wird wirklich beleuchtet. Menschen, denen dieses Thema noch neu ist, finden die Information aber gewiss faszinierend.

Der Film zeigt die Tötung von Rabenvögel (einziger glorreicher Auftritt Deutschlands, vertreten durch meine alte Heimat Göttingen). Das bleibt jedoch gänzlich unkommentiert. An anderer Stelle wird gezeigt, wie Mitarbeitende der Stadtverwaltung die Krähenpopulation in Tokyo durch Fangkörbe dezimiert haben. Was mit den gefangenen Vögeln passiert bleibt unblutig unerwähnt. Wenn in einem Film schon unkommentiert zum Nachdenken angeregt werden soll, dann darf dieser Schritt dann gerne auch noch gegangen werden.

Überhaupt bleibt die Jahrhunderte lange Verfolgung und auch der irrationale Hass gegen die Vögel ein Nebensatz. Das ist mir zu viel Metaebene für so ein wichtiges und noch immer aktuelles Thema.

Die esoterischen Fragen

Schon im Untertitel wird die Verbindung zwischen Rabenvögeln (die offenbar für „die Natur“ stehen) und Mensch aufgegriffen. „Krähen und Raben begleiten und beobachten uns seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte“ steht im Pressetext. Angeblich begleiten sie uns länger als jedes andere Lebewesen/Tier.

Die Absolutheit dieser Behauptung kommt mir etwas gewagt vor. Lange und in enger Verbindung, keine Frage. Aber was ist mit Ratten, Mäusen, Flöhen, Darmbakterien? Überhaupt stehen diese esoterischen Gedanken für mich unverbunden und unvermittelt im Gegensatz zum wissenschaftlichen Teil des Films. Und sie holen mich so gar nicht ab.

Wie der Gedanke, dass Rabenvögel unseren rasanten technischen Aufstieg der letzten Jahre beobachten konnten und die Frage, ob sie diese Beobachtung als kollektives Wissen innerhalb ihrer Art weitergeben. Das finde ich so absurd menschzentriert. Gibt es bei uns Geschichten über die Evolution von Finkenschnäbeln, die so viel schneller ablief? Als wären Rabenvögel die Bewunderer auf der Seitenlinie, die über Generationen hinweg in Ehrfurcht erstarrt Zeugen unserer Großartigkeit sein müssten. Ich denke, sie haben Besseres zu tun.

Und dann der Gedanke, dass wir Menschen erst vor x Jahr angefangen haben, Werkzeug zu benutzen und „Rabenvögel“, die das auch können, ab sofort ebenfalls so eine schnelle kulturelle Entwicklung erleben wie wir und uns bald überlegen sein werden. Den ersten Teil finde ich tatsächlich kurzfristig faszinierend: wie verhältnismäßig schnell die kulturelle Entwicklung bei uns ging, wie schnell sie für Vögel weitergehen könnte … falls der Mensch das zulässt.

Aber wenn ich dann einen Schritt zurücktrete, sehe ich, was dieser Frage zugrunde liegt:

1. Konkurrenzdenken. Absurdes Konkurrenzdenken (hallo, Männerfilm?). Geht es immer nur um Vergleichen und Überlegenheit? Können nicht einfach mal zwei Spezies nebeneinander stehen?

2. Der wieder mal westliche, menschzentrierte Gedanke, dass es das ultimative Ziel ist, sich technisch weiterzuentwickeln, den Planeten zu beherrschen und alles Leben darauf zu vernichten. Dass unser Weg der einzig wahre ist und wir das Maß aller Dinge.

3. Unpräzision. Bisher beherrschen nur wenige Krähenarten den ausgeklügelten Werkzeuggebrauch: neukaledonische Geradschnabelkrähen, zum Beispiel. Und sie werden auch in diesem Film vorgestellt. Viele anderen Krähenarten tun dies nicht. Es wären dann also nicht „die Krähen“, die uns überlegen werden, sondern eine Art. Gut, das war damals beim Menschen auch so: Homo sapiens sapiens übernahm das Kommando und alle anderen Homminiden verschwanden. Aber auch das wird im Film nicht präzisiert.

Der Intelligenz-Begriff

In dieser Vermutung, dass Krähen uns überlegen werden, liegt wieder ein inzwischen überholter Gedanken zugrunde: dass Werkzeuggebrauch das ultimative Zeichen für Intelligenz ist. Es ist aber nur ein Zeichen, dass wir verstehen, weil wir unsere menschliche Intelligenz danach bewerten.

Mir (und vielen Forschenden) ist das inzwischen zu klein gefasst. Intelligenz ist so viel mehr als das, was wir durch IQ-Tests ermitteln.

Im Film zeigt ein Wissenschaftler das Gehirn eines Huhns und das Gehirn einer Krähe im Vergleich und preist die Größe des Krähenhirns. Uff. Da musste ich erstmal tief atmen.

Inzwischen wissen wir längst, dass Vogelhirne anders gebaut und dichter gepackt sind als die von Säugetieren. Die Größe eines Gehirn hat null mit seiner Leistungsfähigkeit zu tun.

Der gute Mann fällt dabei auf genau denselben Denkfehler herein, wie Genationen von Forschern vor ihm, die behauptet haben, Vögel könnten nicht intelligent sein, sie hätten ja so kleine Gehirne.

Dass er für seinen Vergleich ausgerechnet ein Hühnerhirn zeigt, ist besonders amüsant. Hühner vollbringen besonders coole Hirnleistungen, mit denen sie sowohl uns Menschen als auch „den Krähen“ überlegen sind.

Fazit

Der Film lässt mich ratlos und enttäuscht zurück. Ganz offensichtlich bin ich nicht die Zielgruppe.

Ich habe gar nichts dagegen, kulturelle Überlieferungen und Wissenschaft gleichzeit aufzuzeigen, aber dann doch bitte abgegrenzt voneinander. Er zeigt weder den aktuellen Forschungsstand, der noch viel cooler gewesen wäre als die aufgeführten Beispiele, noch die Mensch-Krähe-Beziehung in ein paar mehr als nur ihren seichten Aspekten.

Was will der Film? Krähen für ihre Großartigkeit feiern oder ihre Vielschichtigkeit zeigen? Unser ambivalentes Verhältnis zu ihnen aufzeigen? Unsere historische Verbindung zu ihnen? Tolle Bilder von Krähen wirken lassen?

Vielleicht von allem ein bisschen und möglicherweise ist das eins der Probleme des Films. Er kratzt bei allem nur an der Oberfläche, bleibt seicht, unpräzise, unbegeisternd.

Oder ist der Film eine heimliche Hommage an Bernd Heinrich und sein Lebenswerk? Das würde viel erklären, denn immerhin bekommt Heinrich viel Raum und seine Forschungen werden nachgezeichnet, ohne neuere Erkenntnisse und modernere Sichtweisen aufzuzeigen.

Ich mag nicht empfehlen, dass ihr euch den Film anschauen geht. Lest lieber ein gutes Buch. Aber wie immer gilt: Macht euch selbst ein Bild, wenn ihr mögt. Ob jetzt im Kino oder später im Fernsehen bleibt euch natürlich ebenfalls selbst überlassen.

von | 12. Nov 2023 | Bücher & Dokus

aktualisiert:
6. Dez 2023

Silke Hartmann, die Vogelguckerin

Schon als Kind interessierte sich Silke Hartmann für Vögel, aber kannte lange niemanden, der diese Begeisterung teilte. Um Gleichgesinnte zu finden, ging sie ins Internet und merkte schnell, dass es vielen Menschen so geht wie ihr früher. Deshalb gibt sie jetzt ihr Vogelwissen und ihre Begeisterung in Onlinekursen, ihrem Podcast „Vögel, aber cool!“, ihrem Blog und auf Instagram weiter. Ihr erstes Buch „Die Superkräfte der Vögel“ ist als „Wissensbuch des Jahres 2024“ nominiert.

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2 Kommentare

  1. Hi Silke,
    ich teile Dein Fazit zu dem Film. Mir fehlte der rote Faden und ich fand den Film insgesamt sehr oberflächlich. Es war seichte Unterhaltung mit ein paar Schmunzlern. Für mich hatte der Film keine neuen Erkenntnisse und wird vermutlich schnell in Vergessenheit geraten. Schade…

    Antworten
    • Moin Inga,
      ja, das ist wirklich schade. Danke für deine Nachricht. Oberflächlich und fadenlos trifft es sehr gut. Wahrscheinlich wollte sie ein bisschen zu viel und von allem etwas.

      Antworten

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