Claudia Wascher erforscht die Denkleistungen von Vögeln

Sind Vögel eigentlich intelligent? Sind Krähen schlauer als Hühner? Das und warum uns diese Fragen so gar nicht weiter bringen, bespreche ich mit der Verhaltensforscherin Claudia Wascher. Sie ist Associate Professor an der Anglia Ruskin University in Cambridge und interessiert sich besonders für das Verhalten von Vögeln, die in Gruppen leben.

Bei ihrer Arbeit hat sie u.a. beobachtet, dass Rabenkrähen einen Sinn für Gerechtigkeit haben, sie einem Artgenossen nicht wieder trauen, wenn der mal nicht die Wahrheit gerufen hat, und dass Huhn nicht gleich Huhn ist.

Was ist Kognitionsforschung?

Das, was Claudia Wascher macht, hätte man früher vielleicht mal als „Intelligenzforschung“ bezeichnet. Heute wird dieser Begriff nicht mehr so häufig verwendet. Claudia Wascher mag ihn auch nicht. Das liegt daran, dass unsere Vorstellung davon, was intelligent ist, stark durch die Definition von menschlicher Intelligenz geprägt ist. Diese Muster können wir nicht 1 zu 1 auf Vögel übertragen.

Claudia Wascher erforscht die einzelnen kognitiven Fähigkeiten von Vögeln, quasi die Bausteine der Intelligenz. Deshalb wird statt „Intelligenzforschung“ heute eher der Begriff „Kognitionsforschung“ verwendet.

Ihr Fokus liegt dabei auf Vögeln, die in Gruppen leben. Diese Art des Zusammenlebens erfordert viel Hirnleistung, weil es zwischen den Mitgliedern der Gruppe viele Interaktionen gibt und sie in komplexen sozialen Beziehungen zueinander stehen. Sie müssen miteinander auskommen, sie konkurrieren um Nahrung oder Brutpartner und sie arbeiten zusammen, um sich vor Feinden zu schützen. Die individuellen Bedürfnisse und die Gruppeninteressen müssen dabei miteinander abgewogen werden. Gruppenleben ist also kompliziert.

Laborbedingungen

In der Wissenschaft wird gerne von „Laborbedingungen“ gesprochen, wenn eine kontrollierte Umgebung gemeint ist. Aber im Fall von Claudia Waschers Studien sind die Labore keine gekachelten Räume mit winzigen Käfigen, sondern großzügige Außenvolieren, in denen die Vögel unter möglichst natürlichen Bedingungen gehalten werden. Auch setzt Claudia Wascher bei ihren Experimenten auf Kooperation und Vertrauen. Alle Vögel arbeiten freiwillig mit.

Die Vögel in diesen Volieren sind zum Großteil gefundene Nestlinge, die aus Tierheimen in diese Gehege gekommen sind. Da Rabenkrähen in komplexen sozialen Verbänden leben, sind Sozialpartner für sie wichtig. Sie einzeln als Haustiere zu halten ist daher nicht nur verboten, sondern im Sinne der Vögel auch wirklich keine gute Idee.

Claudia Waschers Forschung

Experimente sind für Claudia Wascher der schönste Teil ihres Berufes. Dabei überträgt sie das Prinzip von IQ-Tests auf Vögel. Die Herausforderung dabei ist, die Experimente so zu planen, dass die Vögel die verstehen, was sie tun sollen, und bei der Bearbeitung der Aufgabe zeigen können, ob sie eine bestimmte Fähigkeit haben oder nicht.

Drei Beispiele aus der Praxis:

Wer einmal lügt

Bei einem Versuch haben Claudia Wascher und ihr Team Rabenkrähen immer wieder die Aufnahmen von zwei Artgenossen vorgespielt, die die Versuchskrähen nicht kannten. Dabei haben die Forschenden es so getrickst, dass die eine Tonband-Krähe als vertrauensvolle Informationsquelle dargestellt wurde, die andere als nicht vertrauenswürdig – also als Lügner.

Dafür legten sie eine tote Krähe ins Gehege (ein Zeichen für mögliche Gefahr) und ließen die vertrauenswürdige Krähe dann vom Tonband warnen. Wenn die andere Krähe vom Tonband rief, war keine sichtbare Gefahr vorhanden. Claudia Wascher und ihre Kolleg*innen konnten beobachten, dass die realen Krähen im Laufe des Experiments ganz unterschiedlich auf die Rufe der beiden Tonband-Krähen reagierten. Dem notorischen Lügner glaubten sie nicht mehr.

Vogelsprache verstehen

Claudia Wascher forscht auch zur Sprache von Rabenkrähen. Sie sind Corviden und somit Singvögel. Vokale Kommunikation ist wichtig im Sozialgefüge der Vögel. Sie tauschen Informationen aus, warnen einander, bleiben im Kontakt. Claudia Wascher nimmt an, dass jeder Vogel eine individuelle Signatur hat, anders klingt und eigene Ruftypen verwendet. Auch geografische Unterschiede und das jeweilige soziale Umfeld spielen eine Rolle bei der Kommunikation.

Spannend ist für Claudia Wascher zurzeit eine spanische Gruppe von Rabenkrähen. Meistens sind Rabenkrähen territoriale Brüter, aber in Spanien gibt es eine Kolonie, die kooperativ brütet. Sie leben also in einem Sozialsystem, bei dem sich nicht nur die Eltern, sondern auch andere Gruppenmitglieder gemeinsam um den Nachwuchs kümmern. Ausgelöst wird diese ungewöhnliche Verhalten durch das Ökosystem, in dem diese Gruppe lebt. Es gibt dort viel Nahrung, aber wenig Nistmöglichkeiten. Deshalb tun sie sich die Rabenkrähen dort beim Brüten zusammen, unterstützen sich gegenseitig und steigern so ihren individuellen Bruterfolg. Ihr Zusammenleben ist also noch einmal komplexer als das von territorial brütenden Krähen.

Claudia Wascher arbeitet nun daran, die Rufe dieser spanischen Kooperativbrüter mit anderen europäischen Rabenkrähen zu vergleichen. Sprechen sie anders als andere? Claudia Wascher erwartet, dass sie unterschiedliche Ruftypen haben und ein komplexeres Ruf-Repertoire. Aber noch sind diese Analysen nicht abgeschlossen. Wir dürfen gespannt sein!

Individuelle Intelligenz

Mit ihren Forschungen zeigt Claudia Wascher auch immer wieder, dass Vögel nicht so instinktgesteuert sind, wie wir das viel zu lange annahmen. Heutzutage wisen wir: Jeder Vogel ist ein Individuum mit einer eigenen Persönlichkeit, das individuelle Entscheidungen trifft.

In einem Versuch mit Rabenkrähen und Hühnern signalisierte die Farbe des Deckels, ob sich in dem Futterbehälter etwas zu fressen befand oder nicht. Claudia Wascher konnte beobachten, dass die Hühner und die Krähen gleich schnell lernten, welchen Behälter sie ansteuern mussten. Es zeigte sich aber auch, dass es große Unterschiede zwischen den Individuen einer Art gab. Manche durchblickten das System superschnell nach wenigen Wiederholungen, andere waren hoffnungslose Fälle und verstanden es nie.

Für Claudia Wascher ist es deshalb wichtig zu betonen, dass es bei Kognitionsforschung nicht auf die verschiedenen Arten ankommt. Rabenvögel sind nicht per se intelligenter als andere Vögel. Sie sind für ihre kognitiven Fähigkeiten nur schon berühmt geworden. Auch andere Arten können clevere Denkleistungen vollbringen, wir müssen nur hinschauen. Mit Voreingenommenheit und Erwartungen an Experimente zu gehen, schränkt das Blickfeld ein.

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aktualisiert:
25. Aug 2023

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