Der Stieglitz: Disteln, Glamour, große Gefühle

Der Stieglitz ist ein Lieblingsvogel vieler Vogelfans und gehört mit zu den Vögeln, den ihr euch in meiner Podcast-Umfrage am meisten wünscht. Kein Wunder, den Stieglitze sind wirklich sehr besonders.

Der Zauber der Stieglitze

Für mich gehören Stieglitze zu den Gute-Laune-Vögeln. Wenn ich einen sehe oder höre, hebt sich meine Stimmung. Tatsächlich höre ich sie meistens zuerst, denn sie sind oft zusammen unterwegs und dabei sehr kommunikativ.

Und sie sind immer in Bewegung. Sie hängen kopfüber an Stauden und turnen auf Ästen, fliegen mal vor und dann wieder zurück und wenn einer auffliegt, fliegen die anderen meist hinterher.

Das wirkt auf uns leicht, unbeschwert, lebendig und lebensfroh. Da ist aber natürlich wieder mal jede Menge Projektion dabei. Ich will ihnen gar nicht unterstellen, dass sie griesgrämig sind, aber hinter diesen Bewegungsmustern steckt auch so etwas wie Berechnung. Die Beweglichkeit und auch die Gruppe geben ihnen mehr Sicherheit. Wenn sie gemeinsam unterwegs sind, halten die Individuen abwechselnd Wache und so kommt ein einzelner Vogel länger zum Fressen, als wenn er alleine unterwegs ist. Oft den Standort zu wechseln und in Bewegung zu bleiben, erhöht natürlich auch die Sicherheit, weil so ein beweglicher Trupp auch für Feinde unberechenbar ist.

Wie sehen Stieglitze aus?

Er gehört mit zu den buntesten Singvögeln in Mitteleuropa. Da er so auffällig aussieht, ist er gut zu erkennen. Stieglitze sind sehr schlank und etwas kleiner als Haussperlinge. Sie wiegen ungefähr so viel wie zwei 1- Euro-Münzen (circa 14 bis 19 Gramm).

Ihre Gesichtsmaske ist leuchtet rot. Dadurch sind sie unverwechselbar. Der Rest des Kopfes ist Schwarz-weiß und ihr Körper beige. Ihre Flügel sind schwarz, haben aber eine leuchtend gelbe Binde also einen Flügelfleck. Ihr Schwanz ist schwarz mit weißen Tupfen.

Der Schnabel von Stieglitzen ist elfenbeinfarben und kräftig und kegelförmig – das verrät, dass er ein Samenfresser ist. Der Schnabel läuft aber auch ungewöhnlich spitz zu.

[Was Schnäbel sonst noch über Vögel verraten, erfährst du hier]

Männchen und Weibchen sehen auf den ersten Blick ziemlich gleich aus, aber wenn man ganz genau hinschaut, ist bei den Männchen das rote Gesichtsfeld etwas größer, die Weibchen haben einen runderen Kopf und ihr unteres Bauchgefieder schimmert grünlich-gelb. Am besten erkennst du diese Unterschiede jedoch, wenn du ein Männchen und ein Weibchen im Vergleich siehst.

Sogar an trüben Tagen leuchten die roten Köpfe und die gelben Flügelbinden von Stieglitzen unverwechselbar.

Was fressen Stieglitze?

Der Stieglitz hat sich eine besondere Nische erobert. Er kommt mit seinem Schnabel an die Samenstände von Disteln, Kletten und Karden heran. Er knackt aber auch die Samen aus den Zapfen von Koniferen und Kiefern, frisst Birkensamen und ernährt sich von Samen verschiedener Blütenpflanzen, Gräsern und Bäumen. Mit seinem kräftigen spitzen Schnabel pickt er reife und halbreife Samen aus Stauden, Gräsern und Bäumen. Er frisst bis zu 152 Wildkräuter, aber ist bekannt für seine angebliche Leibspeise: Disteln (Ackerdistel, Gänsedistel, Kratzdistel, da ist er nicht wählerisch). Daher kommt auch sein 2. Name Distelfink.

Er frisst aber nicht nur hängend, turnend, kletternd. Er pickt auch Nahrung vom Boden auf. Bei allen komplizierten Bewegungen und beim Vorbereiten der Samen für den Verzehr ist die Zusammenarbeit von Schnabel und Fuß unabdingbar.

Ziemlich speziell ist, dass Stieglitze fast ihr ganzes Leben lang vegan leben. Auch ihre Jungen füttern sie vor allem mit Pflanzensamen, nur ganz selten mal mit Blattläusen.

Wie lebt der Stieglitz?

Stieglitze sind außerordentlich gesellig und wenig territorial. Oft fliegen sie im Schwarm umher. Sie bilden auch kleine Brutgemeinschaften von drei bis fünf Paaren und brüten in Gesellschaft. So verteidigt er zwar den Nestbereich, jedoch kein Revier. Er führt eine monogame Brutehe. Die Weibchen bauen alleine das Nest und brütet auch alleine. Während des Brütens verlässt es das Nest nur, um Kot abzusetzen, und wird vom Männchen mit Nahrung versorgt.

Außerhalb der Brutzeit leben Stieglitze in kleinen Gruppen, aber auch in Schlafgemeinschaften mit bis zu 40 Individuen. Im Winter können sie auch in gemischten Finkenschwärmen mit Bluthänflingen, Girlitzen und Grünfinken unterwegs sein können. Da können sich dann auch mal ein paar Feldsperlinge darunter mischen.

Wo lebt der Stieglitz?

Stieglitze triffst du von den Küsten Südschwedens bis nach Nordafrika, von Irland bis nach Kasachstan. Sie wurden außerdem in Südamerika und Australien sowie auf Neuseeland und einigen Inseln Ozeaniens eingeführt.

Sie sind sowohl in den Städten als auch auf dem Land zu treffen. Eigentlich sind sie Vögel offener baumreicher Landschaften bis 1600 m Höhe. Leider gibt es davon immer weniger. Deshalb ging auch der Bestand der Stieglitze in den letzten 25 Jahren deutlich zurück und sie kommen vermehrt in Städte. Sie mögen es unordentlich und vor allem ungespritzt. Wir müssen ihnen wieder mehr Abwechslung auf den Grasflächen und in den Siedlungen zur Verfügung stellen. Und das geht ja eigentlich ganz einfach. Einfach mal nicht alles immer so aufräumen und zubetonieren.

Das gilt auch für deinen Garten. Du kannst auch Stieglitze in deine Umgebung locken, indem du nicht alles ganz genau aufräumst und wegspritzt, wenn du eine Blühwiese mit heimischen Pflanzenarten anlegst und sie vor allem ausblühen lässt. Das finden Stieglitze spannend und kommen dich vielleicht besuchen.

Der Gesang der Stieglitze

Mit Ausnahme der Mauserzeit kannst du Stieglitze das ganze Jahr über singen hören. Sie singen meist von einer hohen Singwarte aus, selten im wenig ausgeprägten Singflug. Im Flug hörst du dann eher ihre Kontakrufe. Sie haben überhaupt ein großes Laut-Repertoire, denn sie sind sehr gesellig.

Stieglitze sind auch bei der Nahrungssuche häufig in Gruppen unterwegs. Dabei sind sie sehr gesprächig. Wenn du die Stimme der Stieglitze einmal im Ohr hast, erkennst du sie bestimmt oft wieder. Am häufigsten hört man ihr Helles Stiglitt oder die deli dass ihnen auch ihren namen eingebracht hat äh namen an der sprachen

Die Namen des Stieglitzes

Im Italienischen heißt er cardellino. Das erinnert stark an seinen lateinischen Namen Carduelis carduelis, abgeleitet von carduus (Distel). Und da ist wieder unser Distelfink.

Auch sein französischer Name chardonneret élégant kommt von chardon (Distel). Wo das elegant herkommt, erklärt sich ja wohl von allein.

Der Name Stieglitz wurde aus dem Slawischen ins Deutsche entlehnt. Das slawische Wort stellt wohl ursprünglich eine lautmalerische Wiedergabe des Kontaktrufes dar. Im Schwedischen heißt er steglits im Norwegischen und Dänischen stillits

Im Englischen gehen sie ganz andere sprachliche Wege. Da heißt der Stieglitz goldfinch. Die deutsche Entsprechung „Goldfink“ bezeichnete früher auch den Stieglitz, wird heute aber eher für den amerikanischen Goldzeisig verwendet, daneben auch für den Gimpel, den Bergfinken und ein paar andere, ist also eine uneindeutige Bezeichnung.

Nicht mehr gebräuchliche deutsche Namen sind Jupitersfink und Rotvogel. Und das ist doch mal wirklich schade!

Der Stieglitz in unserer Kultur

In der Kunst waren Stieglitze besonders im Mittelalter ein beliebtes Motiv. Wenn du genau hinschaust und darauf achtest, kannst du sie auf vielen Gemälden und Wandteppichen entdecken. Auch in Kirchen sind sie auf Madonnen- und Heiligenbildern und auf Darstellungen von Jesu Geburt zu sehen. Wegen seiner Vorliebe für Disteln und der Färbung seines Kopfes, stellt der Stieglitz in der christlichen Ikonographie auch ein Symbol für den Leidensweg von Jesus dar.

Gemälde von Rafael: Madonna mit dem Stieglitz. In der Szene sind Maria mit Jesus und Johannes dem Täufer zu sehen. Jesus hält den Stieglitz in der Hand. Das Original hängt in den Uffizien in Florenz.

Das führte leider nicht dazu, dass Stieglitze als besonders heilig angesehen und in Ruhe gelassen wurden. Sie sind seit Jahrhunderten beliebte Käfigvögel. Warum müssen wir alles Schöne „besitzen“ wollen? Zu glauben, ein anderes Lebewesen „besitzen“ zu können ist doch echt ein Fehler im Denksystem.

In Deutschland sind Entnahmen aus der Natur seit 1. Juli 1888 verboten, egal, ob als Ei, durch das Klauen von Jungvögeln aus Nestern oder als Wildfänge. Auch der Handel mit so erlangten Tieren ist weitgehend untersagt. Dank der EU-Vogelschutzrichtlinie von 1979, die dies für das gesamte europäische Gebiet der EU zum Ziel hatte, gelten für alle Exemplare wildlebender heimischer Vogelarten weitreichende Zugriffs-, Vermarktungs- und Besitzverbote.

Aber das ist Arschgeigen natürlich egal. Das Komitee gegen den Vogelmord, Birdlife und andere Organisationen setzen sich auf den Zugrouten für den Schutz von Vögeln ein. Sie decken aber auch immer wieder hier bei uns in Deutschland illegalen Handel mit Singvögeln auf.

Stieglitze in Gefangenschaft singen nur, was ihnen vorgespielt wird. Ein einsamer Stieglitz in einem Käfig lernt noch nicht mal sein „stiegelit“; das müssten ihm Artgenossen beibringen. Dass Stieglitze in Gefangenschaft zu „Schwindel, Fallsucht, Schwindsucht und Trübsinn“ neigen, wie in einem „Ratgeber für Vogelhalter“ aus dem Jahr 1622 steht, ist ja wohl kein Wunder und sehr traurig.

Fun Fact

Etwas Interessantes, was ich in diesem unerfreulichen Zusammenhang gelesen habe, ist, dass man Stieglitze zwar offenbar mit allerhand anderen Finken vergeselllschaften – also einsperren! – kann, aber mit Gimpeln sollte man sie auf gar keinen Fall zusammenbringen. Das passte erst so gar nicht in mein Gimpelbild, aber man lernt ja nie aus.

Sowohl Gimpel als auch Stieglitze lernst du in „Endlich Vögel sehen!“ kennen, meinem Vogel-Onlinekurs für Einsteigerinnen. Sechs Wochen lang lernst du die Vögel bei dir vor der Haustür ganz intensiv kennen und ich begleite dich auf deiner Reise in die Wunderwelt der Vögel. So wirst du ganz nebenbei zu einer echten Vogelkennerin und verbindest dich wieder mit der Natur um dich. Wir starten Ende Oktober in eine neue Kursrunde. Wenn du auf der Warteliste stehst, kannst du schon ein paar Tage früher loslegen, du sicherst dir den besten Preis und das coolste Überraschungsgeschenk. →Hier kannst du dich unverbindlich eintragen.

von | 20. Sep 2024 | Podcast, Vogelwissen

aktualisiert:
20. Sep 2024

Silke Hartmann, die Vogelguckerin

Schon als Kind interessierte sich Silke Hartmann für Vögel, aber kannte lange niemanden, der diese Begeisterung teilte. Um Gleichgesinnte zu finden, ging sie ins Internet und merkte schnell, dass es vielen Menschen so geht wie ihr früher. Deshalb gibt sie jetzt ihr Vogelwissen und ihre Begeisterung in Onlinekursen, ihrem Podcast „Vögel, aber cool!“, ihrem Blog und auf Instagram weiter. Ihr erstes Buch „Die Superkräfte der Vögel“ ist als „Wissensbuch des Jahres 2024“ nominiert.

Moin, ich bin Silke,

wie schön, dass du da bist! Hier berichte ich dir Wunderbares und Wundersames über Vögel und ihre Welt. Außerdem erfährst du, wie du anfängst, sie schnell selbst zu sehen und immer besser darin wirst. Komm mit auf die Reise!

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