Wie kaum eine andere Vogelart ist uns der Weißstorch nahe. Einerseits gelten sie als schön, sind leicht zu erkennen, elegant, würdevoll, sehr beliebt und damit unserem Herzen nah. Andererseits sind sie uns natürlich auch räumlich nah: Weißstörche sind in Mitteleuropa Kulturfolger und brüten auf Hausdächern, Strommasten und Kirchtürmen.
Sie führen den Sommer über ein öffentliches Leben mitten unter uns – und sind dann plötzlich wieder weg. Warum eigentlich? Und was gibt’s sonst noch über diese charismatischen Vögel zu wissen?
Weltenbummler und Zugvogel
Weißstörche sind bei uns in der Regel nur Brutvögel und verbringen den Winter im Süden, weil es da dann mehr zu futtern gibt. Die Zugrichtung ist dabei genetisch vorgegeben, schon Jungstörche ziehen ganz alleine Richtung Süden. Die Zugroute hingegen ist flexibel. Grob unterscheiden wir eine Ost- und eine Westroute. Die Ostroute wird eher von den norddeutschen Störchen genutzt, die Westroute eher von den Süddeutschen, jedoch haben viele Westzieher ihre Route verkürzt und ziehen nur noch bis Spanien statt bis nach Afrika. Überhaupt scheinen Weißstörche sehr flexibel bei ihren Reisen zu sein und mal bis nach Spanien, mal bis nach Mittel- oder gar bis Südafrika zu fliegen.
Jungstörche ziehen nach ihrer ersten Reise in den Süden übrigens erstmal nicht mehr, sondern bleiben mehrere Jahre in Afrika, bis sie geschlechtsreif sind und somit bereit, ihre erste Familie zu gründen.
Nesttreue vs. Partnertreue
Trotz aller Weltenbummelei sind Weißstörche sehr standorttreu und kehren jedes Frühjahr an ihren alten Nistplatz zurück. Dort finden sich auch die alten Paare aus dem Vorjahr zusammen. Die Männchen treffen vor den Weibchen ein und verteidigen das Nest (Horst genannt) gegen andere Störche. Sollte aber ein anderes Männchen erfolgreich den Horst übernehmen oder ein Weibchen nicht zurückkehren, sind Störche ganz pragmatisch: Die Treue zum Nest ist größer als die Treue zum Partner oder zur Partnerin.
Bei so viel Standortliebe ist es kein Wunder, dass die riesigen Horste aus Ästen und Zweigen Jahr für Jahr weiter ausgebaut werden. Sie können dabei bis zu 4 Meter hoch werden und ihr Gewicht kann eine ziemliche Belastung für ein Hausdach sein.
Sind Weißstörche gute Eltern?
Weißstörche gelten als vorbildliche Eltern. Beide Elternteile kümmern sich tagein tagaus um den Nachwuchs, brüten, hudern und füttern ihn. Das ist wirklich viel Arbeit für beide. Deshalb braucht es auch beide Elternteile, um den Nachwuchs großzuziehen. Fällt ein Elternteil aus, überleben die jungen Weißstörche in der Regel nicht.
Weißstörche legen im Durchschnitt 5 Eier. Sie beginnen aber schon nach Ablage des 2. Eis zu brüten. Das führt dazu, dass die ersten beiden Jungen dicht hintereinander schlüpfen, aber dann zwei Tage Abstand dazwischen ist. Wenn das letzte Küken mit 80 g aus dem Ei kriecht, sind seine großen Geschwister schon halbstark und wiegen schon knapp ein halbes Kilo. Für das letzte Küken stehen die Chancen von Anfang an schlecht. Das hat vor allem folgende Gründe:
- Weißstörche füttern nicht individuell, wie andere Vögel das tun, sondern sie lassen das Futter ins Nest fallen. So kommen die Stärkens zuerst an Futter.
- Außerdem richten sich die Eltern bei der Wahl des Futters dann auch nach den größten Küken. Die kleinen bräuchten aber dann eher noch Regenwürmer, wenn es schon kleine Amphibien und Nagetiere gibt.
- Auch hudern die Eltern später nicht mehr intensiv wie am Anfang. Wenn es dann mal regnet, unterkühlen die Jüngsten schnell.
Das alles ist evolutionär betrachtet sinnvoll. Die jüngeren Küken sind das Backup, falls ein anderes Ei unbefruchtet ist oder ein älteres Geschwister stirbt. Bei Eiablage ist noch nicht vorhersehbar, wie das Wetter bei der Aufzucht sein wird. Es könnte für alle Jungen reichen. Wenn nicht, ist es eine Gefahr für alle, wenn auch die schwächsten durchgefüttert werden. Und dann kann es tatsächlich auch zu aktiver Kindstötung durch die Eltern kommen.
Das erzähle ich natürlich nicht, weil der Weißstorch böse ist, sondern weil diese Informationen dazugehören, um ein umfassendes Bild von Natur, aber auch von Weißstörchen zu bekommen. Menschliche Maßstäbe gelten nur für Menschen. Wir sollten Tiere nicht danach beurteilen!
Der Weißstorch als wissenschaftliches Forschungsobjekt
Da Weißstörche so gut sichtbar sind, war den Menschen in unseren Breiten bestimmt schon immer bewusst, dass sie im Spätsommer verschwinden und irgendwann im Frühling wieder auftauchen. Es gab die tollsten Theorien, wo und als was die Vögel den Winter verbringen: Verwandeln sie sich in Mäuse? Überwintern sie im Schlamm von Seen oder gar auf dem Mond (geschätzte Reisezeit dank fehlendem Luftwiderstand: 4 Wochen)?
Die wilden Spekulationen fanden ein endgültiges Ende, als 1822 in der Nähe von Rostock ein Storch mit einem langen Holzpfeil im Hals auftauchte und sich schnell zum Publikumsmagneten entwickelte. Damit diese Menschenaufläufe endlich ein Ende hatten, wurde der Pfeilstorch noch einmal geschossen, diesmal mit tödlichem Ende.
Der Storch samt Pfeil wurde präpariert und es stellte sich heraus, dass der Pfeil in seinem Hals afrikanischen Ursprungs war. Somit gilt der Rostocker Pfeilstorch als erster Beweis für den Vogelzug.
Dank ihrer Größe und Standorttreue waren Weißstörche auch mit die ersten Vögel, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts erkenntnisreich beringt wurden. Und im Jahr 1991 wurden sie als eine der ersten Vogelarten besendert. Da die Sender am Anfang noch ziemlich riesig waren, kamen dafür damals nur wenige Arten infrage.
Ein erfolgreiches Sorgenkind?
Spätestens seit 1850 wurde der Lebensraum des Weißstorches stark verändert. Bereits im Jahr 1934 wurde eine erste deutschlandweite Storchenzählungen durchgeführt und seitdem zumindest in Westdeutschland regelmäßig wiederholt. So konnte der dramatische Rückgang der Population gut beobachtet werden, bis Weißstörche in den 1980ern in Westdeutschland fast ausgestorben waren. In der Schweiz waren bereits 1950 keine Brutpaare mehr nachweisbar.
Da die Weißstörche eine beliebte Leuchtturmart sind, wurde dieser Rückgang zum Glück nicht hingenommen, sondern die Menschen wurden im Storchenschutz aktiv. Die Wiederansiedlungsprojekte und Schutzinitiativen waren ziemlich erfolgreich, so dass der Weißstorch inzwischen wieder in ganz Deutschland und auch in der Schweiz verbreitet ist.
Jedoch macht der niedrige Bruterfolg Forschenden bis heute Sorgen. Um die Population stabil zu halten, müssten pro Jahr zwei Storchenkinder das Nest verlassen. Das ist wegen der schlechten Futterlage oft nicht möglich.
Auch auf dem Zug warten viele Gefahren wie Stromleitungen und schlechte Thermik auf die Weißstörche. Gebratener Storch gilt in Ostafrika als Delikatesse und auch die europäische Wilderei gefährdet die großen Vögel. Insgesamt stehen die Chancen für sie 50/50, den Zug zu überleben.
Große Gefahr für Weißstörche: unsere Gummibänder!
Klingt strange, aber ist so: Gummibänder sind eine große Gefahr für Weißstörche: Immer wieder werden tote Weißstörche gefunden werden, deren Mägen voller Gummibänder sind.
Die Gummibänder stammen von Radieschen, Frühingszwiebeln, Schnittblumen oder Kräutern, die damit gebündelt werden. Sie gelangen über den Biomüll in Kompostieranlagen und auf Felder. Dort finden sie Weißstörche, halten sie für Regenwürmer und füttern damit ihren Nachwuchs.
Ein Gummiband wäre kein Problem. Das würde der Ministorch einfach irgendwann mit anderem Nahrungsresten wie Mausfell und Knochen als Gewölle herauswürgen. Aber wenn es zu viel werden, verklumpen sie, verhärten sich und blockieren die Verdauung, sodass die Vögel viel zu schwer und flugunfähig werden und schließlich mit vollem Magen verhungern.
Ein qualvoller, trauriger und komplett sinnloser Tod! Dabei wäre es doch echt so einfach, das Leid zu verhindern: Gemüse und Blumen kommen in den Biomüll, Gummibänder gehören in den Restmüll. Ein kurzer Griff, der Leben rettet. Danke, dass du mitmachst und dass du es weitersagst.
Der Weißstorch in der Kultur
Als Adebar haben Weißstörche einen festen Platz in unserer Kultur: Sie kehren im April, Mai zu uns zurück und gelten als Frühlings- bzw. Sommerboten. Kein Wunder, dass es ganz viele Bauernregeln zu ihnen gibt und sie Teil zahlreicher Erzählungen sind. Sie bringen Glück und natürlich schon seit den Germanen unsere Kinder. Ein Storchennest auf dem Dach verhindert Blitzschlag und das Fremdgehen in der Ehe.
Der Weißstorch gilt außerdem als Wetterprophet und da er so mystisch aufgeladen ist, helfen seine Innereien auch gegen allerlei Krankheiten. Einen Storch aus Spaß zu töten steht allerdings unter Strafe, sowohl weltlicher als auch göttlicher, so dass man sich das noch immer sehr gut überlegen sollte.
Die Redewendung „Da brat mir einer einen Storch!“ spielt genau auf diese Ungeheuerlichkeit an: Sie wird verwendet, wenn etwas abstrus, unmöglich, undenkbar erscheint. Genauso undenkbar, wie einen Glücksboten zu töten und zu essen.
Stummer Klapperstorch?
Neben Adebar wird der Weißstorch auch Klapperstorch genannt und das kommt natürlich daher, dass er mit dem Schnabel klappern kann. Dieses Klappern dient der Verständigung und mit ein bisschen Geduld können auch wir die verschiedenen Klapperarten erkennen und akustisch zwischen Begrüßungsklappern, Wohlfühlklappern und Verteidigungsklappern unterscheiden.
Dieses Klappern ist sehr eindrucksvoll und gut zu hören. Darüber vergisst man oft, dass Störche gar nicht stumm oder stimmlos sind: Sie haben zwar keinen Stimmkopf wie andere Vögel, aber machen sehr wohl noch andere Geräusche als Klappern. Sie fauchen. Dabei sind sie aber eher leise und es ist so selten zu hören, dass es im allgemeinen Geklapper und Geplapper der Welt untergehen.
Der Weißstorch als Medienstar
Dass der Weißstorch so beliebt bei uns ist, zeigt sich auch daran, dass er es als eine der wenigen Vogelarten regelmäßig in die Presse schafft. Besonders in Lokalzeitungen wird häufig über ihn berichtet.
Privatsphäre ist für Weißstörche ein Fremdwort. Sie werden nicht nur beringt und satellitenüberwacht; dank moderner Technik lässt inzwischen auch Big Brother und die Trueman Show grüßen. Unzählige Horste in Mitteleuropa werden per Webcam beobachtet und die Ereignisse am Nest live ins Internet gestreamt. Eine „kurze“ Recherche offenbarte mir mehr als 200 aktive Weißstorch-Webcams alleine in Deutschland. Da findest bestimmt auch du deine ganz persönlichen Weißstorch-Superstars.
Meine kurze Besprechung zu einem empfehlenswerten Weißstorch-Buch →findest du hier.
Dieser Blogpost erschien ursprünglich am 10. Juni 2022 und wurde mit Erscheinen der Podcast-Folge am 12.07.2024 aktualisiert und neu veröffentlicht.
Liebe Silke,
Ich mag deinen
Newsletter sehr! Neben den vielen immer interessanten Themen gefällt mir dein lockerer Ausdruck, der mich oft zum laut Lachen bringt!
Aber was bitte ist „hudern“? Ich habe es für mich mit hegen und pflegen übersetzt?
Liebe Tine, vielen Dank für deine schöne Nachricht! Das freut mich wirklich sehr.
Und du hast so recht: beim Hudern war ich wirklich betriebsignorant. Es ist der Fachausdruck für „unter die Fittiche nehmen“ und bedeutet, dass Altvögel ihre Flügel (=Fittiche) ausbreiten und die Küken darunter wären und schützen.
Kennst du eigentlich schon meinen Glossar? Da habe ich schon einige Fachbegriffe erklärt und ergänze immer mal wieder neue.
Sonnige Grüße von der Küste
Silke