Turmfalke: Greifvögelchen mit Superkräften

Turmfalken begegnen uns im Alltag häufig und sind mit etwas Übung recht einfach zu erkennen. Als Kulturfolger leben sie auch mitten in unseren Städten und Dörfern. Mit dem Mäusebussard gehören sie mit Abstand zu den Top2 der häufigsten Greifvögel in Europa. Und: Der Turmfalke hat coole Superkräfte. Höchste Zeit also, diesen Alltagsbegleiter näher kennenzulernen:

Verwandtschaft

Um es gleich zu Anfang kompliziert zu machen: Der Turmfalke ist gar kein Greifvogel, kein echter zumindest. Umgangssprachlich werden Falken zwar oft als Greifvögel bezeichnet, weil Greifvogel die zeitgemäße Bezeichnung für das veraltete Wort Raubvogel ist. So gesehen ist es also richtig, Greifvogel zu sagen, denn Falken gehören zu den fliegenden Beutegreifern.

Systematisch betrachtet bilden Falken aber eine eigene Ordnung: die der Falken. Insgesamt gibt es 10 Falkenarten in Europa, aber die meisten von ihnen treffen wir hier in Mitteleuroap nur ganz selten. Und diese Falken sind eben keine Greifvögel, sondern viel näher mit Papageien und Sperlingsvögeln verwandt als mit echten Greifvögeln wie Adlern und Habichten. Mit denen sind sie nämlich gar nicht verwandt – trotz ihrer ähnlichen Lebensweise.

Lebensraum

Heute sind viele unserer Städte und Siedlungen fast lückenlos in Turmfalken-Reviere eingeteilt. Es gibt so um die 50.000 bis 70.000 Brutpaare in Deutschland. Sie sind aber auch in ganz Mitteleuropa gut verteilt und regelmäßig zu sehen. Ihre Bestände schwanken, je nach Nahrungsangebot.

Das zeigen konkrete Zahlen: In einem guten Mäusejahr gab es 18 Brutpaare auf einer 100km²-Zählfläche, im darauffolgenden Jahr waren es nur noch drei Paare.

Städtische Nachbarn

Turmfalken waren ursprünglich mal Felsenbrüter. Sie nutzten aber auch schon früh von Menschen erbaute Felsen, also hohe Bauwerke wie Wehrtürme oder Kirchtürme zum Brüten. Daher kommt auch ihr Name: Turmfalke. Sie werden auch Dom- oder Kirchfalken genannt.

Ihren Brutstandorten und auch ihre Partner*innen sind sie oft mehrere Jahre treu. Als Kulturfolger leben und brüten sie heute auch mitten in unseren Städten und Dörfern. Das ist ein Zeichen dafür, dass sie nicht wählerisch sind, sondern sich ziemlich gut anpassen können. Kein Wunder, dass sie in ganz Europa und sogar in großen Teilen Asiens und Afrikas verbreitet sind.

Da sie so anpassungsfähig sind, sind sie auch in unterschiedlichen Lebensräumen zu finden. Sie meiden allerdings sowohl dichte geschlossene Waldbestände als auch völlig baumlose Steppen. Der Turmfalke benötigt zum Jagen freie Flächen mit niedrigem Bewuchs.

Auch bei der Brutplatzsuche sind sie nicht kompliziert: Sie nehmen was sie kriegen und sind mobil. Bei vielen urbanen Turmfalken liegen das Brut- und Jagdgebiet mehrere Kilometer auseinander. Sie brüten in der Stadt und jagen draußen auf den Feldern.

In der Stadt futtern sie auch mal Haussperlinge und andere Kleinvögel. Als Brutplatz nutzen sie gerne Kirchtürmen, hohe Fassaden oder auch ausrangierte Nester anderer Vögel.

Vor einigen Jahren hatte ein Turmfalkenpärchen ein von Krähen verlassenes Nest in einer Birke etwa 100 Meter von meinem Balkon bezogen. Das war super! Ständig segelten die Elternvögel um die Dachgiebel unseres Viertels und die Jungvögel waren mit Flugübungen und Notlandungen im benachbarten Baum beschäftigt. Ein tolles Unterhaltungsprogramm!

Langer, schmaler Schwanz, spitzzulaufende Flügel: das muss wohl ein Turmfalke sein!

Aussehen

Turmfalken sind ungefähr so groß wie eine Stadttaube, haben aber eine größere Flügelspannweite. Sie haben einen rundlichen Kopf, einen Hakenschnabel und einen relativ langen, schmalen Schwanz, den sie aber auch auffächern können. Sie sind rotbraun gefärbt. Weibchen haben i.d.R. mehr Streifen als die Männchen. Die haben, wenn sie ausgewachsen sind, einen grauen Kopf und graue Schwanzfedern. Und so kannst du die Geschlechter auch von Ferne ganz gut unterscheiden.

Die Weibchen sind außerdem größer als die Männchen, wie bei den meisten Greifvögeln, aber sowas sieht man ja eher im direkten Vergleich.

Unterschiede bei Weibchen und Männchen nennt man auch Zweigestaltigkeit. Und das schlaue Wort für Zweigestaltigkeit ist Dimorphismus oder Geschlechtsdimorphismus.

Aber Achtung: Die eben beschriebenen Unterscheidungsmerkmale zwischen Männchen und Weibchen klingen super; dummerweise sieht man den Größenunterschied der Geschlechter am Anfang einer Birding-Karriere nur, wenn beide nebeneinander sitzen. Und die Farbe des Kopfgefieders zu erkennen ist zwar Birder Level eins, allerdings haben die Diesjährigen, also die Jungfalken, auch einen braunen Kopf … Aber wer will das zu Anfang schon so genau wissen 😉 ?

Jagdtechniken

Rüttelmeister

Der Turmfalke kann wie ein Helikopter auf der Stelle fliegen. Das nennt man „rütteln“. Er schlägt dabei schnell mit den Flügel und öffnet seinen Schwanz wie einen Fächer. Seinen Kopf hält er still, so dass er seine Beute auf dem Boden fixieren kann. In manchen Gegenden trägt der Falke daher auch den Namen „Rüttelfalke„.

Wenn er Beute erspäht hat, gleitet er erst sacht an oder schießt direkt zum Boden hinab. Dabei ist er nicht super schnell wie andere Falken, aber dadurch hat er den Vorteil, dass er einfach beidrehen, bzw. seinen Flug abfangen kann, falls die Beute doch noch schnell entwischt.

Nicht alles, was rüttelt, ist ein Rüttelfalke.

Achtung: Auch andere Greifvögel, deren Beute sich am Boden befindet, können rütteln. Du kannst daher auch mal einen Mäusebussard oder einen Rotmilan rütteln sehen. Beide sind aber viel größer und beim Rütteln nicht ganz so talentiert wie der Turmfalke.

Ansitzjäger

Der Rüttelfalke kann auch anders als „nur“ zu rütteln: Er jagd auch von Ansitzen aus. Im Sommer nutzt er so ungefähr die Hälfte seiner Jagdzeit. Dabei kann man ihn gut bei Überlandfahrten vom Auto aus oder aus dem Zug sehen.

Die Ansitzjagd ist auch viel energiesparender als das Rütteln. Besonders im Winter spart er sich daher seine wertvolle Energie und jagd fast ausschließlich von Ansitzen aus. Da dann die Vegation nicht so hoch steht, kann er auch gut genug sehen.

Spurenleser

Die Hauptbeute von Turmfalken sind Wühlmäuse, also Erd- und Feldmäuse. Um diese Tiere im hohen Gras zu entdecken, haben Turmfalken eine besondere Superkraft: Sie sehen Pipi-Spuren leuchten. Turmfalken können nämlich die ultravioletten Farbanteile im Urin der Mäuse wahrnehmen und spüren ihre Beute auf, indem sie einfach den Spuren der Mäuse folgen. Clever, wa?

Zugverhalten

Bei uns sind adulte, also erwachsene Turmfalken besonders in den Siedlungen häufig Standvögel. Andere machen sich auch auf die Reise bzw. auf den Zug und zwar nach Südeuropa und bis ins nördliche Afrika – oder auch nur ein paar Kilometer die Straße runter, wenn es da mehr zu futtern gibt. Ihr Zugverhalten ist nämlich hauptsächlich vom Nahrungsangebot geprägt.

Turmfalken sind sogenannte Breitfrontzieher, die keinen traditionellen Zugrouten folgen und überwiegend einzeln ziehen. Während des Zuges fliegen Turmfalken relativ niedrig und sind nicht auf gute Thermik angewiesen. Sie überqueren daher auch die Alpen, die vom Mäusebussard und anderen Greifvögeln, die auf Thermik angewiesenen sind, nur selten überquert werden. Bei ihrer Alpenüberquerung nutzen sie überwiegend Pässe, sie überfliegen aber auch Gipfel und Gletscher. Echte Abenteurer also.

Aber nicht alle wohlgemerkt. Viele bei uns sind echte Revierhocker. Turmfalken sind also entweder Standvögel, Strichvögel, Kurzstrecken-, Mittelstrecken- oder Langstreckenzieher. Oder sagen wir einfach: Ihr Zugstatus ist kompliziert.

Fun Facts

  • Der Turmfalke kann, wie alle anderen Falkenarten, seinen Kopf um 180 Grad drehen. Das ist praktisch, wenn man Ausschau nach Pipi-Spuren hält und gleichzeitig den übermütigen Nachwuchs im Auge behalten muss.
  • Turmfalken können bis zu 24 Jahre alt werden.
  • Sein wissenschaftliche Name ist Falco tinnunculus. Das kommt von tinnire und das bedeutet „schellen, klingen, schreien“. Es spielt auf sein charakteristisches Rufen an. Man könnte ihn also auch den kleinen Schreihals nennen.
Auf der Suche nach Regenwürmern oder Feldmäusen? Wer weiß das schon so genau.

Wunschgeschlecht

Paare, die früh in der Saison brüten, haben meistens männlichen Nachwuchs und solche, die spät brüten, häufig weiblichen Nachwuchs. Das klingt ein bisschen wie all die tollen Tipps, die es bei Menschen gibt, um das Geschlecht der lieben Kleinen zu beeinflussen, aber bei diesen Vögeln funktioniert es wirklich. Warum das so ist, konnte allerdings noch nicht herausgefunden werden.

Mit diesem Wissen tippte ich bei meinem Turmfalken-Pärchen von damals übrigens auf männlichen Nachwuchs.

Fazit: ein Anfängerfreund

Turmfalken sind weit verbreitet, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land zu finden und spätestens an ihrem charakteristischen Rüttelflug gut zu erkennen. Sie sind Vögel, über die man sich auch schon am Anfang einer Birding-Karriere leicht und oft freuen kann. Mit diesem Hintergrundwissen macht das jetzt ja vielleicht noch mehr Spaß.

Hast du Themenwünsche für meinen Podcast? Sprichst du einen coole Sprache und hast Lust, mir bei Bedarf mal ein Wort oder einen Satz einzusprechen? Welches war deine Lieblingsfolge von „Vögel, aber cool!“? Oder möchtest du mir sonst etwas zum Podcast sagen? Großartig! Denn ich freue mich, von dir zu hören:

Der ursprüngliche Blogpost stammt vom 7. November 2020.

von | 17. Nov 2023 | Podcast, Vogelwissen

aktualisiert:
17. Nov 2023

Silke Hartmann, die Vogelguckerin

Schon als Kind interessierte sich Silke Hartmann für Vögel, aber kannte lange niemanden, der diese Begeisterung teilte. Um Gleichgesinnte zu finden, ging sie ins Internet und merkte schnell, dass es vielen Menschen so geht wie ihr früher. Deshalb gibt sie jetzt ihr Vogelwissen und ihre Begeisterung in Onlinekursen, ihrem Podcast „Vögel, aber cool!“, ihrem Blog und auf Instagram weiter. Ihr erstes Buch „Die Superkräfte der Vögel“ ist als „Wissensbuch des Jahres 2024“ nominiert.

Moin, ich bin Silke,

wie schön, dass du da bist! Hier berichte ich dir Wunderbares und Wundersames über Vögel und ihre Welt. Außerdem erfährst du, wie du anfängst, sie schnell selbst zu sehen und immer besser darin wirst. Komm mit auf die Reise!

Wissensbuch des Jahres 2024: „Die Superkräfte der Vögel“

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