Vögel in der Stadt

Vogelgucken in der Stadt – das klingt eigentlich nach einem Widerspruch. Vögel oder überhaupt wilde Tiere erwarten wir doch eher in der Natur oder zumindest auf dem Land, also auf dem Dorf, das ja angeblich der Natur so viel näher ist. Stadt das klingt nach Beton und Asphalt, nach vielen Menschen, verstopften Kreuzungen, überfüllten Einkaufszentren, nach Straßenlärm, Abgasen, grauem Staub. Was sollen Vögel in dieser Umgebung? Und überhaupt: Wo sollten sie leben? Wo etwas zu fressen finden? Vögel und Stadt scheint nicht so recht zusammenzupassen.

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Aber weiter im Text. Wo waren wir? Ach ja: Vögel und Städten scheint nicht so richtig zusammenzupassen …

Doch diese Vorstellung von Lebensräumen ist ziemlich veraltet. Tatsächlich ist die Vogel-Dichte in der Stadt viel höher als auf dem Land. Es gibt eine Faustregel: Pro Mensch gibt es in einer Großstadt einen Vogel. Und je größer die Stadt ist, desto größer ist auch die Vogelartenvielfalt. 2/3 aller in Deutschland brütenden Vögel kommt auch in Städten vor. Das heißt natürlich nicht, dass du an jeder Ecke eine Seltenheit sehen wirst, aber die Stadt bietet viele verschiedenen Lebensräume – und die werden genutzt. Metropolen wie Berlin oder Hamburg haben eine weitaus größere Artendichte als ein Naturschutzgebiet derselben Größe. Die Naturschutzgebiete sind natürlich trotzdem super, super wichtig, weil sie besonders Arten Lebensraum bieten, denen es nicht gut geht und die auch in Städten nicht klarkommen (Wat- und Wiesenvögel zum Beispiel).

Überall Vögel

Wir sind im urbanen Alltag überall von Vögeln umgeben – wenn wir nur gelernt haben, sie wahrzunehmen. Viele Menschen nehmen Vögel aber höchstens als Hintergrundrauschen wahr, als eine Zutat der akustischen Geräuschkulisse. Im Alltag sehen die meisten Menschen hauptsächlich auf die anderen Menschen, die zur Arbeit hetzen und wieder nach Hause, die neben uns im Café sitzen oder in der U-Bahn, mit denen wir an der Supermarktkasse anstehen oder die wir abends auf einer Party treffen. Und so übersehen sie die Vögel überall um sie herum.

Sie sind aber da. Und in was für Massen und in einer überraschenden Vielfalt: Elstern, Wanderfalken, Saatkrähen, Uhus, Schleiereulen, Halsbandsittiche, Grünfinken, Singdrosseln, Wintergoldhähnchen … Wenn du ein bisschen übst, kannst du dein Viertel plötzlich mit anderen Augen sehen: Turnen da hinten nicht Haussperlinge durch die Hecke? Sitzt da oben nicht eine Ringeltaube auf dem Dachfirst? Quatschen da nicht Stieglitze mitten im Straßenlärm? Und schwimmt da auf dem Stadtteich zwischen den Tretbooten etwas eine Reiherente?

Die Geschichte unserer gemeinsamen Vogel-Mensch-WG geht weit zurück. Seit Menschen Siedlungen errichteten, müssen sie für Vögel interessant gewesen sein. Besonders die Arten, die eigentlich in Felsspalten oder auf Felsen nisten, müssen allerspätestens die Mittelalterlichen Burgen bewohnt haben. Das erkennen wir noch heute auch an den Namen: Turmfalke, Hausrotschwanz, Mauersegler sind offensichtliche Nachbarn und nutzen die menschgebauten Ersatzfelsen als Lebens- und Brutraum. Aber auch Dohlen (die Turmraben genannt werden) und Mehlschwalben (Hausschwalben) sind seit alters her unsere fliegenden Mitbürger*innen. Heutzutage sind Städte auch wichtiger Lebensraum für Wanderfalken. Die profitieren vom reichhaltigen Tauben-Angebot und pflücken sich bei bester Beleuchtung auch mal nachts einen vorüberziehenden Singvogel aus der Luft.

Warum sind Vögel in Städten?

Diese Artenvielfalt in den Städten ist schon verblüffend. Aber wo kommt sie her, warum gibt es sie? Wir sollten die Frage anders stellen: Warum gibt es mehr Vögel in der Stadt als auf dem Land?

Außerhalb unserer Siedlungen gibt es hauptsächlich aufgeräumte Agrarlandschaften ohne Hecken und Büsche und vor allem: ohne Insekten. Auch unsere Wälder sind zu kahlen Baumplantagen ohne Altholz und ohne viele wichtige Lebensräume geworden. Waldbewohnende Vögel sind aber zum Glück flexibler als ihre Kollegas auf den Wiesen und Feldern und kommen auch ganz gut in den Parks und Gärten der Städte klar. Amseln sind dafür ein gutes Beispiel.

Städte sind deshalb richtige Rettungsinseln inmitten der kargen Agrarlandschaft geworden. In den Städten ist es wärmer und auch das Brutangebot ist ziemlich gut: Spalten, überdachte Nischen, Höhlen, ganze Dachböden stehen zur Verfügung.

Gefahren für Vögel

Das klingt ja alles ganz furchtbar paradiesisch mit diesen Vögeln in den Städten – ist es aber natürlich nicht. Wir machen den Vögeln auch hier das Leben schwer: Wir lassen unsere Stubentiger frei rumlaufen, die die Vögel wenn nicht töten, dann zumindest stressen und durch ihre Anwesenheit dafür sorgen, dass die kleineren Singvögel auch von ihren anderen Feinden leichter erwischt werden. Wir bauen überall an unsere Gebäude Glas – was zur tödlichen Falle werden kann. Auch der Straßenverkehr stellt eine nicht zu unterschätzende Gefahr für Vögel dar.

Durch Modernisierungen und Gebäudesanierungen gehen wertvolle Brutplätze verloren. Auch unser Aufräumwahn greift um sich. Hecken, Sträucher, Efeubehang – das sieht ja viel zu wild aus, weg damit. Und damit zerstören wir mal so mir-nix-dir-nix innerhalb von 10 Minuten einen wertvollen Lebensraum. So sind aus Städten wir München oder Köln Haussperlingen – ausgerechnet diese Allerweltsvögel – schon fast komplett verschwunden. Und auch unseren ach-so-beliebten Mauerseglern wird das Leben und das Überleben immer schwerer gemacht. Ihre Nester werden auch mal mitten in der Brutsaison verschlossen, so dass die Küken elendig verhungern.

Dieses Schicksal teilen auch Stadttauben, die viele Menschen ja sowieso nicht so mega gerne in ihrer Nähe haben wollen. Dabei sind wir Menschen überhaupt erst dafür verantwortlich, dass sie in unseren Städten sind. Und wir sind auch dafür verantwortlich, dass sie sich unabhängig von Saison und Nahrungsangebot fortpflanzen müssen und nicht mehr fähig sind, alleine zu überleben – aber dazu mal demnächst ausführlicher. Jetzt nur so viel: Sie sind sehr intelligent und sozial und haben unseren Hass in keinster Weise verdient.

Vorteile in der Stadt

Aber natürlich hat es für die Vögel auch viele Vorteile in den Städten zu leben. Klar, denn sonst wären sie ja nicht hier. Sie haben z.B. eine höhere Lebenserwartung als in der freien Fläche, z.B. weil es insgesamt weniger Feinde gibt. Und auch ziehen Stadtvögel seltener – und der Vogelzug ist eine wirklich gefährliche Angelegenheit! Auch ihre Brutzeit ist länger, da es in der Stadt immer etwas wärmer ist als auf dem Land. Auch ist ihr täglicher Aktionszeit verlängert, da auch die Vögel von der Straßenbeleuchtung profitieren. Oder gestört werden – je nachdem, wie man es interpretiert.

Aber auch unter den Stadtvögeln herrscht Kommen und Gehen. Zur Zugzeit, klar, aber auch viele Neuvögel können zuerst in Städten fuß fassen. Die Türkentaube etwa, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts bei uns immer sichtbarer wird, wohnt bevorzugt in Städten. Aber auch Gänse und Enten halten sich gerne in Städten auf – wie die Mandarinenten in Berlin oder auch Nil- und Streifengänse. Entlang der großen Städte des Rheins breiten sich Halsbandsittiche aus. Der Lebensraum der Gelbkopfamazonen hingegen beschränkt sich bisher auf einen Stadtpark in Süddeutschland – aber immerhin!

Die allermeisten Vogelarten haben in der Stadt keine Jagd zu befürchten und werden auch sonst selten von Menschen belästigt. Sie sind Menschen gegenüber daher viel toleranter als in „freier Wildbahn“. Klar, müssen sie auch sein. Wenn ihre Fluchtdistanz so groß wäre wie normalerweise üblich – also draußen – dann wären sie schon längst nicht mehr in den Städten, bei der Vielzahl der menschlichen Bewohner:innen. Und das ist prima für uns Vogelbegeisterte.

Urban Birding – Vogelgucken in der Stadt

Du siehst: Es wimmelt um uns herum vor Vögel. Du musst nicht an einen Vogel-Hotspot reisen und dabei jede Menge CO2 in die Luft pusten. Die Entdeckungstour beginnt gleich vor deiner Haustür. Und die Sichtungsausbeute ist sogar größer als auf dem Land. Da die Vögel in den Städten so sichtbar sind, bieten sie uns eine gute Möglichkeit, mitten im städtischen Alltag mit der Natur zu verbindunden und zur Ruhe zu kommen. Eine kleine Natur-Meditation direkt vor deiner Nase. Aber du kannst natürlich auch mitten in den Städten auf echte Expeditionen gehen.

Dafür eignen sich zum Beispiel Friedhöfe, Parks, Flüsse, Ententeiche, Kleingärten, aber auch die Schandflecken deines Viertels: verlassene Baustellen, überwucherte Baulücken, Industriebrachen, das Grundstück des maroden unbewohnten Hauses, dessen Erb*innen in Südamerika leben. Vögel mögen es unaufgeräumt, abgeranzt, schäbbig. Im gewissen Rahmen zumindest. Öffne deine Augen für Vögel und du kannst mitten in der Stadt tolle Vogelbegegnungen haben.

Wenn du die Vögel in deinem Umfeld unterstützen möchtest (und sie so auch noch besser beobachten kannst, btw), wäre Füttern vielleicht eine gute Idee für dich, hm? Hol dir dafür gerne den „Vögel richtig füttern“-Guide ←.

von | 4. Nov 2022 | Podcast, Vogelwissen

aktualisiert:
13. Mrz 2024

Silke Hartmann, die Vogelguckerin

Schon als Kind interessierte sich Silke Hartmann für Vögel, aber kannte lange niemanden, der diese Begeisterung teilte. Um Gleichgesinnte zu finden, ging sie ins Internet und merkte schnell, dass es vielen Menschen so geht wie ihr früher. Deshalb gibt sie jetzt ihr Vogelwissen und ihre Begeisterung in Onlinekursen, ihrem Podcast „Vögel, aber cool!“, ihrem Blog und auf Instagram weiter. Ihr erstes Buch „Die Superkräfte der Vögel“ ist als „Wissensbuch des Jahres 2024“ nominiert.

Moin, ich bin Silke,

wie schön, dass du da bist! Hier berichte ich dir Wunderbares und Wundersames über Vögel und ihre Welt. Außerdem erfährst du, wie du anfängst, sie schnell selbst zu sehen und immer besser darin wirst. Komm mit auf die Reise!

Mein neues KOSMOS-Buch: „Die Superkräfte der Vögel“

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